2. Tag (11. September 2019): Von Griebnitzsee nach Hennigsdorf

Gegen 7 Uhr stehen wir auf. Ziemlich früh für Alex Verhältnisse. Aber ich bekomme eine Tasse Kaffee. Fürs Frühstück gehen wir dann in eine nahegelegene Bäckerei. Danach satteln wir unsre Räder und fahren die sechs Kilometer zum Hauptbahnhof. Das Gepäck lassen wir bei Alex. Wir haben beschlossen auch die nächste Nacht bei ihm zu übernachten, weil auch im Norden Berlins, den wir heute ansteuern werden, keine Übernachtungsmöglichkeiten zu einem vernünftigen Preis zu finden sind. Vom Hauptbahnhof geht es dann wieder mit der S-Bahn nach Griebnitzsee, wo wir um kurz vor 10 Uhr ankommen.

Die ehemalige Berliner Exklave Steinstücken lassen wir aus und fahren gleich am Griebnitzsee entlang. Dies erweist sich allerdings als schwierig, weil ein Teil des ursprünglichen Mauerwegs wie auch an anderen Stellen durch einige Grundstückseigentümer gesperrt ist. Hier läuft nun ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen der Stadt Potsdam und den Eigentümern, der noch nicht entschieden ist. So müssen wir oft vom Uferweg zurück auf die Straße.

Der Weg entlang dem Griebnitzsee ist wegen seiner Villenbebauung schon sehr eindrucksvoll. Historisch ist er vor allem deshalb von Interesse, weil hier auch die Villen stehen, in denen die „Großen Drei“, also der amerikanische Präsident Harry S. Truman, der Britische Ministerpräsident Winston Churchill sowie sein Nachfolger Clement Attlee und der sowjetische Diktator Josef Stalin während der Potsdamer Konferenz in Schloss Cecilienhof vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 logierten. Von der „Villa Erlenkamp“ aus, die der damaliger Präsident Truman bewohnte und die heute daher im Volksmund „Truman-Villa“ genannt wird, erließ Truman auch den Befehl für die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Heute ist die Villa Sitz der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.

Etwa 500 Meter weiter gelangt man an die „Villa Urbig“, die heute nicht ganz zutreffend nur „Churchill-Villa“ heißt, obwohl der Britische Premierminister noch während der Potsdamer Konferenz abgewählt wurde und durch seinen Nachfolger Clement R. Attlee ersetzt wurde. Die Villa ist ein Jugendwerk des Bauhaus-Architekten Ludwig Mies von der Rohe und angesichts der noch sehr traditionellen Gestaltung fällt es doch schwer zu glauben, dass es sich um ein Werk des Architekten beispielsweise der Neuen Nationalgalerie in Berlin oder des deutschen Pavillons zur Weltausstellung in Barcelona 1929 handelt.

Etwa 800 m weiter gelangt man dann an die sogenannte „Stalin-Villa“, die seit 1994 Sitz des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg ist. Von hieraus fahren wir weiter vorbei am vom Fürsten Pückler wunderbar gestalteten und schon wegen seiner Lage sehr eindrucksvollen Park Babelsberg mit seinem sehenswerten Schloss Babelsberg, dass sich Wilhelm I. unter tatkräftiger Mitgestaltung seiner Gemahlin Augusta und unter „Verschleiß“ der drei bedeutenden Architekten Karl Friedrich Schinkel, Ludwig Persius und Johannes Heinrich Strack in den Jahren 1833 bis 1849 als seine Sommerresidenz erbauen ließ.  Von hier hat man einen atemberaubenden Blick auf die Glienicker Brücke und den Jungfernsee. Diese Ansiedlung führte auch zu der Errichtung der zahlreichen Villen am Griebnitzsee, die ebenfalls von reichen und einflussreichen Persönlichkeiten Berlins und Preußens meist als Sommerresidenzen errichtet wurden, die die Nähe des Königs und späteren Deutschen Kaisers zum Erhalt ihrer Bedeutung suchten.

Wir fahren nun aber weiter über ein kleine kopfsteingepflasterte Brücke am Übergang des Griebnitzsees in den Jungfernsee nach Klein Glienicke. Dieser kleine Ort ist sicher auch eine der interessantesten Stellen des Mauerweges. Klein Glienicke mit seinen 500 Einwohnern war eine winzige Enklave der DDR auf der Westberliner Seite. Es war nur drei Hektar groß, umgeben von Mauer und Klassenfeind – die schmalste Stelle war nur 15 Meter breit – und der am schwierigsten zu kontrollierende Abschnitt an der Mauer. Ohne Passierschein und Begleitung durch die Grenzsoldaten ging hier nichts. Sogar jede Leiter in den Gärten musste stets angeschlossen sein.

Dennoch gelang es 1973 zwei Familien aus Klein Glienicke und Erfurt, die mit einer Kinderschaufel und einem Spatenblatt einen 19 Meter langen Tunnel vom Keller eines Hauses nach West-Berlin gruben. Genau 80 Zentimeter hinter den Grenzanlagen stiegen dann neun Menschen am 26. Juli 1963 aus dem Tunnel auf Westberliner Gebiet. Die in dem Haus lebende Familie hatte den Grenztruppen ein Schnippchen insofern geschlagen, als das Haus im Grenzsicherungsplan wegen des extrem hohen Grundwasserspiegels als „nicht gefährdetes Tunnelobjekt“ eingeschätzt wurde und daher danach auch nicht regelmäßig kontrolliert werden musste. Die dort lebende Familie hatte jedoch in der Vergangenheit beobachtet, dass in Zeiten extremer Hitzeperioden dieser Grundwasserspiegel erheblich sank. Dies hatte man sich dann im Sommer 1973 zu Nutze gemacht.

In der Griebnitzstraße in Klein Glienicke stehen übrigens einige malerische Villen am Ufer des Griebnitzsees. Hier lebte unter anderem die britisch-deutsche Schaupielerin Lilian Harvey, die aber Deutschland 1939 verließ, nachdem bekannt geworden war, dass sie weiterhin jüdische Kollegen in ihrem Haus empfing und deshalb von der Gestapo als unzuverlässig beobachtet wurde. 1943 erkannte dann das NS-Regime Harvey die deutsche Staatsbürgerschaft ab. Auch der ehemalige Reichskanzler Kurt von Schleicher bewohnte hier eine Villa, in der er und seine Frau 1934 von den Nazis erschossen wurden. Klein Glienicke gehört heute zum UNESCO-Weltkulturerbe der Berlin-Potsdamer Schlösserlandschaft.

Bei der Fahrt durch Klein Glienicke fährt man auch am Jagdschloss Glienicke vorbei. Man sieht zwar hier wegen der vielen grünen Bäume nicht viel, aber vom Park Babelsberg hatte man einen wunderschönen Blick. 1939 hatte die Stadt Berlin das Gelände erworben, sodass es nicht mehr zu Klein Glienicke gehörte, sondern zu Berlin. Das Schloss wurde 1682 vom Großen Kurfürsten als Jagdschloss errichtet, später wurde es als Lazarett und Waisenhaus genutzt. 1859 erfolgte ein Umbau im frühbarocken Stil und das Schloss diente viele Jahre als Wohnsitz des als exzentrisch geltenden Prinzen Friedrich Leopold, eines Schwagers Kaiser Wilhelms II. Nach seinem Tod im Jahre 1931 verwahrloste das Schloss bevor es 1939 von der Stadt Berlin erworben wurde und seit 1947 als Kinderheim genutzt wurde. 1960 sollte das Schloss eigentlich abgerissen werden, wurde jedoch dann nach dem Mauerbau 1964 zur Bildungsstätte umgebaut, wobei der Schlosseingang in den Garten verlegt werden musste, weil vor dem Haupteingang direkt die Mauer stand. 2003 wurde das Schloss durch einen Brand zerstört, danach aber wieder aufwändig saniert.

Einige Meter hinter dem Schloss gelangen wir dann auf die Königsstraße, die Berlin mit Potsdam verbindet, und überfahren die Glienicker Brücke von der aus man einen phantastischen Blick auf Schloss Babelsberg und die Silhouette von Potsdam hat. Hinter der Brücke geht es dann gleich rechts entlang des Jungfernsees hinter dem Schloss Cecilienhof entlang über Neu Fahrland und um den Krampnitzsee nach Sacrow mit seinem Schloss und der Heilandskirche. Dies ist ein beträchtlicher Umweg von etwa 14 km, während der Grenzverlauf eigentlich direkt von der Mitte der Glienicker Brücke durch  den Jungfernsee in das bestenfalls 2 km entfernte Sacrow führt.

Der Grenzverlauf führt aber auch von Sacrow aus weiter durch den Wannsee trifft erst bei Kladow wieder auf festen Boden. Die Fahrt nach Kladow ist dann auch, sieht man einmal von den Highlights Cecilienhof und Heilandskirche ab, recht monoton. Ab Krampnitz geht es dann durch den Wald und bald auch nur noch über holprige Waldwege bis nach Sacrow. Danach wird zwar der Weg wieder besser, aber es bleibt recht monoton, auch als wir dann bei Kladow wieder auf der Ostseite entlang der ehemaligen Grenze fahren. Die Tour führt entlang des Großen Glienecker Sees, von dem man allerdings wenig sieht. Kurz hinter dem ehemaligen Rittergut Groß Glienicke geht es dann zur B2, die hier Potsdamer Chaussee heißt. Auf einem Fahrradweg entlang der vielbefahrenen Straße geht es dann in Richtung Spandau.

Hier sind wir bei Alex Oma avisiert, die Alex wohl gefragt hat, ob wir nicht bei ihr vorbeischauen wollten. Natürlich wollen wir das und so lassen wir das Stück Mauerweg über Staaken aus und fahren direkt nach Spandau hinein. Oma Waltraud wohnt mitten in Spandau in einer hübschen 2-Raum Wohnung mit Balkon. Sie hat mit Ende 70, nach dem Tod ihres Mannes, noch einmal ihre vertraute Kleinstadt in Thüringen verlassen und ist in die Nähe ihrer Tochter und vor allem der beiden Enkelkinder in das doch gegenüber Thüringen pulsierende Spandau gezogen. Sie scheint sich gut eingelebt zu haben und macht mit ihren 84 Jahren noch einen sehr rüstigen Eindruck. Zwar ist sie nicht mehr ganz so gut zu Fuß, fährt aber immer noch mit dem Fahrrad und kann ihren Haushalt allein bewältigen. Zu unserer Ankunft gibt es eine extra von ihr zubereitete Bohnensuppe mit Kartoffeln und Speck sowie zum Nachtisch Kaffee und Kuchen. Wir bleiben etwa 1 1/2 Stunden und sprechen über alte und neue Zeiten.

Nach dieser angenehmen Mittagspause geht es nun weiter. Alex hat hier ja auch über zehn Jahre gewohnt und kennt sich aus, wie wir dann wieder zum Mauerweg kommen. Hinter Spandau führt der Weg zunächst durch ein größeres Waldgebiet des Berliner Forsts und später dann über landwirtschaftlich genutzte Flächen. Über die Niederneuendorfer Allee und die Spandauer Landstraße gelangen wir dann bei Niederneuendorf wieder auf den Mauerweg, der nun an der Havel entlang führt. Nach kurzer Zeit fahren wir am Grenzturm Nieder Neuendorf vorbei, der inzwischen restauriert und denkmalgeschützt ist. Der Turm diente nicht nur der Überwachung des Grenzstreifens, sondern beherbergte auch eine Führungsstelle mit Kontakt zu anderen Beobachtungstürmen und Streifenposten, die auch die elektronischen Grenzsicherungsinstallationen beaufsichtigte. Heute beherbergt der Turm eine Ausstellung zur Geschichte der Grenzanlagen zwischen den beiden deutschen Staaten. Außerdem wird auch an die Todesfälle an der Grenze hier in Nieder Neuendorf erinnert.

Nach einem weiteren Kilometer, auf dem man sehr schöne Blicke auf die Havel hat, geht es über den Havelkanal nach Hennigsdorf und weiter entlang der Oder-Havel Wasserstraße. Während man rechts an der Havel entlang fährt, führt der Weg links entlang eines befestigten Zaunes der den Blick auf den ein Eisenbahntechnologiezentrum lenkt. Überall stehen Eisenbahnzüge auf Gleisen, die offensichtlich als eine Art Referenzliste wirken, weil sie unterschiedlichste auch transnationale Eisenbahnlinien ausweisen. Sie rühren von dem ehemaligen „Kombinat VEB Lokomotivbau-Elektrotechnische Werke ´Hans Beimler´Hennigsdorf“ her. Nach einer umfassenden Modernisierung ging das Werk nach der Wende auf Bombardier über und so werden hier, wenn auch mit erheblich verringerter Belegschaft S-Bahn Züge, Regionalbahn-Triebwagen und ICE-Mittelwagen hergestellt. Leider gelangen mir keine guten Fotos von dieser eindrucksvollen Anlage.

Nun erreichen wir bald den S-Bahnhof in Hennigsdorf. Davor der Rundbau des modernen Rathauses, dieser umringt von einer restaurierten Plattenbausiedlung. Von Hennigsdorf geht es dann mit der S-Bahn zunächst nach Alt-Tegel und dann mit der U-Bahn ins Wedding. So haben wir auch die zweite Etappe des Mauer-Radweges geschafft. Auch Alex hält erstaunlich gut mit, denn er hat wohl nicht besonders viel Erfahrung mit dem Fahrrad und nun haben wir in zwei Tagen schon über 130 Kilometer zurückgelegt. Den Abend verbringen wir heute wieder zusammen mit Minh in einem indischen Restaurant, was auch sehr gut ist, dessen Namen ich aber leider vergessen habe.

Tagesdaten: 60,61 Km

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