17. Tag: 4. Mai 2023 – Von Tykocin nach Lomza

Beim Blick aus dem Fenster sieht es nach einem schönen und sonnigen Tag aus. Später wird es zunehmend wolkiger. Zum vereinbarten Zeitpunkt bringt mir meine Vermieterin ein schönes Frühstück, dass ich mir gut schmecken lasse. Heute soll es nun nach Lomza gehen. Es ist sozusagen ein Abstecher vom Green Velo. Viel Zeit werde ich allerdings für Lomza nicht haben, aber ich will mir vor allem zwei Orte außerhalb von Lomza ansehen. Zum einen ist es der Ort, wo die die SS- Einsatzgruppen im August 1941 und auch danach tausende Juden aber auch nichtjüdische Polen ermordet haben und morgen will ich auf meinem Rückweg über Jedwabne, den „Ort, der nicht bereuen will“, wie in der Wochenzeitung „DIE ZEIT 2005 getitelt wurde, fahren, der schon vor mehreren Jahren damit internationales Aufsehen auslöste.

Meine Fahrt heute ist relativ unspektakulär, aber dennoch anstrengender als erwartet. Das liegt vor allem an den zahlreichen unasphaltierten Straßen, die zum Teil in einem miserablen Zustand sind. Ich merke zunehmend, dass sich diese Strecken auch unangenehm auf mein Cochlear Implantat auswirken, weil die permanenten Erschütterungen dann auch mein in der Nähe des Implantats liegendes Gleichgewichtsorgan strapazieren. An solchen Tagen bin ich dann abends doch ziemlich geschafft.

Zunächst fahre ich noch durch Sumpfgebiete, danach wird es wieder landwirtschaftlicher, weil man offensichtlich erfolgreich Sümpfe trocken legen konnte, um so wieder landwirtschaftliche Flächen zu gewinnen. Auch wird es wieder hügeliger, sodass die Sümpfe ohnehin aufhören. Ich fahre daher über weite Strecken wieder durch landwirtschaftlich genutztes Gelände. Entsprechend sind die Dörfer dann auch vorwiegend mit Bauernhöfen mittler Größe besiedelt.

Meistens werden die Höfe aber auch die älteren Privathäuser von Hunden bewacht. So bin ich es schon gewohnt, das ich bei meinen Fahrten durch die Dörfer von einem vielstimmigen Hundegebell begleitet werde. Meistens sind die Grundstücke aber so verschlossen, dass die Hunde das Grundstück nicht verlassen können oder so erzogen sind, dass sie es nicht verlassen, wenn sie mit ihrem Gebell Erfolg haben und der mutmaßliche Eindringling weiterzieht.

Heute mache ich aber in zwei Dörfern eine neue Erfahrung. Im ersten Dorf kommt plötzlich lautbellend ein größerer Hund mit Ähnlichkeit eines Schäferhundes hinter mir her, was ich nicht sympathisch finde. Ähnliches war ich bisher nur aus einer Region in Bulgarien gewohnt. Er läuft dann weiter laut bellend mit der Schnauze in der Nähe meiner Füße neben mir her und lässt sich auch durch mein Gebrüll nicht sonderlich davon abhalten. Erst als ich absteige und mein Fahrrad bedrohlich in seine Richtung schiebe, kneift er den Schwanz ein und zieht aber immer noch bellend von dannen.

Die zweite Episode passiert in einem anderen Dorf. Die Hunde des Ortes bellen wieder als ich durchfahre. Plötzlich merke ich, dass mein Fahrrad nicht mehr richtig zieht und befürchte schon, dass ich einen Platten habe. Als ich mich etwas umschaue, sehe ich aber an meine linken Gepäckträgertasche einen Hund, der sich hier in das Netz der Tasche gebissen hat und dabei weiter mitläuft, mich aber offensichtlich irgendwie zum Anhalten zwingen will. Auch hier halte ich sofort an und nehme eine bedrohliche Aufstellung ein. Der Hund kläfft zwar weiter, dreht auch nicht um, lässt aber von mir ab, so dass ich weiterfahren kann.

Während meiner Mittagspause in einer Unterstellhütte in dem Dorf Korti, besucht mich, nachdem ich meine Speisen auf dem Tisch ausgepackt habe, eine etwas zerzaust aussehende Dorfkatze und ist wohl der Meinung, mitspeisen zu können. Es kostet mich einige Anstrengung, sie davon abzuhalten. Sie bleibt aber standhaft bei mir und versucht immer wieder mich zu umgarnen, indem sie sanft an meinen Beinen vorbei streicht.

Das sind die eher amüsanten Begegnungen des Tages. Etwa 10 Kilometer vor Lomza komme ich im Wald von Gielcyn an ein weitere Holocaust Mahnmal. Lomza wurde nach dem deutschen Überfall auf Polen bis zum 10. September 1939 von polnischen Truppen verteidigt. Auf den Rückzug der polnischen Truppen am 10. September 1939 folgte eine kurze Periode deutscher Besatzung ab dem 11. September 1939. Infolge des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts wurde die Stadt von der deutschen Wehrmacht am 29. September 1939 an die Sowjetunion übergeben und der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik angegliedert. Im Juni 1941 rückten die Deutschen im Zuge des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion erneut in die Stadt ein und errichteten ein Ghetto für etwa 9000 Juden, von denen sie hier im Wald von Gielcyn über 3000 erschossen und die Übrigen ins Vernichtungslager Treblinka deportierten. Bis in das Jahr 1944 sollen hier im Wald noch weitere 8 bis 10 Tsd. polnische Staatsbürger, überwiegend jüdischen Glaubens ermordet worden sein. Wenn man an einer solchen Stelle steht und sich das Grauen vorstellt, ist es kaum zu ertragen.

Die Fahrt nach Lomza ist dann problemlos, aber ich komme durch die Verzögerungen des heutigen Tages erst gegen 17 Uhr meinem B&B Mohito an. Das Zimmer ist sehr klein aber praktisch mit allem Notwendigem eingerichtet. Viel Zeit für einen Spaziergang durch Lomza habe ich nicht. Aber da ich unweit vom Rathausplatz untergekommen bin, kann ich zumindest hier mich noch etwas intensiver umschauen. Das jüdische Viertel in Lomza wurde im Krieg zerstört. Heute steht an dessen Stelle ein Neubauviertel. Für die Bedeutung der Jüdischen Gemeinde von Lomza spricht allerdings, dass die Synagoge und das jüdische Viertel direkt von einer Ecke des Marktplatzes erbaut wuden. Die Juden waren also integraler Bestandteil der Stadt und wurden nicht in irgendwelche Außenbezirke verdrängt. Ansonsten hat Lomza wenig zu bieten. Als drittgrößte Stadt Podlachiens nach Suwalki wirkt es eher wie eine moderne Großstadt. Allerdings hat man auch den Eindruck, dass ab 19 Uhr die Bürgersteige hochgeklappte werden. Den Spaziergang lasse ich dann in einer Pizzeria ausklingen, in der ich der einzige Gast bin.

Tagesstrecke: 65,55 Km; 13,41 Km/h; 267 Hm

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