Ja, es ist nicht einfach, sich in Bulgarien jeden Morgen zu motivieren, die Fahrradtour fortzusetzen. Aber ich bleibe erst mal in Bulgarien. Die Hotelbetreiberin, sie heißt Emilie und ist gleich zum Du gegangen, begleitet mich zum Frühstück in die benachbarte Bar. Ich trinke wieder Espresso mit Milch und bestelle ein Schinkensandwich mit Käse überbacken. Emilie erzählt mir, dass sie Theaterwissenschaften studiert habe und früher, also zu Zeiten des Sozialismus im Theater- und Kulturbereich tätig gewesen sei. Das Hotel habe sie nach der Wende erworben, es sei früher die Zentrale der Kommunistischen Partei gewesen. Das Hotel befindet sich in der obersten Etage des Gebäudes und wenn ich es mir recht überlege, sehen die Zimmer auch wie frühere Funktionärsbüros aus. Die Wände mit dunklem Holz ausgekleidet und jedes Büro hatte ein eigenes WC und Waschbecken, wenn die Funktionäre sich mal frisch machen mussten oder wollten. Für die Hotelzimmer musste man dann nur noch eine Dusche einbauen und da war halt nur über der Toilette Platz. Aber mit Duschkabinen hat man es in Bulgarien ohnehin nicht so wie ich noch feststellen werde. Ansonsten hat Emilie wohl gute Kontakte nach Deutschland. Sie kennt Dresden und Leipzig und war schon auf der Bundesgartenschau in Brandenburg. Sie formuliert Vorurteile wie sie ja in Deutschland auch sehr verbreitet sind. Wir ließen zu viele Ausländer rein. Die Kluft zwischen arm und reich werde in Deutschland immer größer. 45 Tsd. Rentner aus Deutschland seien schon nach Bulgarien gekommen, weil sie von ihrer Rente in Deutschland nicht leben könnten. Auf meine Frage, was man denn so in Bulgarien an Rente bekäme, meint sie das sei eine Katastrophe. Es gäbe höchstens 400 € aber die meisten bekämen weniger. Na ja.
Nach dem Frühstück sehe ich zu, dass ich möglichst schnell wegkomme, denn vor mir liegen etwa 100 Kilometer bis zu meinem heutigen Ziel Nikopol. Ich folge den Radwegweisern, die hier sehr gut aufgestellt sind und stelle nun schon zum wiederholten Male fest, dass diese oft andere Weg weisen als mein Navi und das auch die Fahrradkarten zum Teil anders führen als Navi oder die Beschilderung. Ich verlasse mich inzwischen vorrangig auf die Beschilderung, weil sie offensichtlich mit dem nötigen gesunden Menschenverstand aufgestellt worden sind. Die gpx-tracks auf dem Navi sind ganz offensichtlich nicht vom gesunden Menschenverstand geprägt. So scheinen die Algorithmen bei den gpx-tracks vor allem davon geprägt zu sein, möglichst von Hauptstraßen wieder runterzukommen oder auch Abkürzungen zu nehmen. Der Algorithmus Wegequalität scheint dabei keine Roll zu spielen und so landet man in Bulgarien, wenn man immer auf das Navi vertraut unweigerlich in eigentlich unbefahrbarem Gelände. Nun, inzwischen habe ich mich darauf eingestellt und komme ganz gut klar. Heute habe ich auch alle Abweichungen von der Hauptstraße ignoriert und bin stur die N 11 gefahren. Dies war richtig aber auch ein eigenes Erlebnis. Der Grund für meine Entscheidung war, dass sonntags in Bulgarien wohl sehr wenig Verkehr ist. Kaum Lastwagen und wenige PKW. Tja, wo soll man auch hier schon gerne hinfahren? So lernte ich aber mal eine Nationalstraße mit allen ihren Vor- und Nachteilen kennen. So waren etwa 50 bis 60 Prozent der Strecke gut befahrbar, weil sie recht frisch hergerichtet und asphaltiert war. 10 Prozent sind so la la. Man kann noch ganz gut fahren, aber die nächste Neuasphaltierung täte durchaus Not. 30 Prozent sind aber in einem erschreckenden Zustand. Ich nenne es inzwischen asphaltierte Feldwege, man kann aber auch von Ruckel- und Buckelstrecken sprechen. Hier kommt man, ob mit LKW, PKW oder Fahrrad, nur im Slalom durch, was natürlich die Fahrgeschwindigkeit erheblich reduziert. Natürlich kann man das als eine Art Verkehrsberuhigung für gut heißen, aber nun dienen National- bei uns Bundestraßen nicht primär der Verkehrsberuhigung, sondern dem möglichst schnellen Transport von A nach B. Eins der großen infrastrukturellen Probleme in Bulgarien ist sicher das noch nicht qualitativ hochwertige Straßennetz, das viele potentielle Investoren mit Sicherheit abschreckt.
Zu meiner heutigen Tour gibt es relativ wenig zu berichten. Auch Fahrradtouren können nicht immer spannend sein. Manchmal ist halt doch nur der Weg das Ziel. Die Ortschaften wurden wieder erheblich trister, es ging wieder durch landwirtschaftlich genutztes Gelände, wobei hier Lössboden, also sehr fruchtbarer Boden wohl verbreitet ist. Es gab wieder einige phantastische Ausblicke von den Höhen auf die Donau und es gab einige sehr strapaziöse Anstiege. Die 100 Kilometer hätte ich sicher nicht so mühelos geschafft, wenn ich die offizielle Strecke des Donauradweges genommen hätte. Sie wäre länger gewesen und die Straßenverhältnisse waren schon nach den Hinweisen auf den Karten noch problematischer. So war ich dann gegen 18.45 Uhr hier in Nikopol. Das Hotel Gold hatte Emilie für mich heute morgen vorreserviert, so wurde ich schon erwartet und bin wohl wieder der einzige Gast. Die Rezeption wird von einem älteren Herrn betrieben, der aber wohl außer bulgarisch keine andere Sprache spricht. So geht die Verständigung nur mit den Händen und der Zeichensprache. Aber als es um die Zeit meines morgigen Frühstücks ging haben wir das einfach mit zeigen auf die Uhrzeit erledigt. Ansonsten ist Nikopol so ziemlich das Trostloseste, was ich selbst in Bulgarien bisher mitbekommen habe. So gab es als Tipp fürs Abendessen auch nur den Supermarkt nebenan. Vielleicht gibt es ja irgendwo eine Bar. Aber der Ort ist wirklich nicht so einladend, dass ich im Dunkeln noch gerne zu einer größeren Erkundung hätte aufbrechen wollen. So habe ich mir im Supermarkt eine Flasche warmes Bier geholt, die Kühlung der Getränke hatte man wohl schon vor Stunden abgestellt. Ansonsten ernähre ich mich aus den Vorräten, insbesondere den mir lieb gewordenen Waffeln, mit denen mich Bojan bei meiner Abreise noch versorgt hatte. Damit war auch Zeit genug, einiges an Wäsche, was langsam einen sehr eigenwilligen Geruch bekommen hatte, zu waschen und mich unter einer Dusche, wieder freihängend und ohne Duschkabine, nun aber mal ausgiebig zu duschen. Es tat gut nach drei Tagen!