1. Tag (08. September 2021): mit dem Zug von Leipzig nach Cieszyn

Nun ist es also soweit. Heute geht’s los. Wegen des GDL-Streiks musste ich meinen Start um zwei Tage verschieben. Mit dem Zug geht es nun heute von Leipzig mit Umstieg in Dresden-Neustadt und Prag nach Cesky Tesin. Meine Befürchtungen, was meine Ankunft am heutigen Ziel alles behindern oder verhindern könnte sind e so oft am Anfang solcher Reisen groß. Aber alles verläuft dann wie meist planmäßig und nach jedem Umstieg werde ich ruhiger.

Obwohl Cesky Tesin in Tschechien liegt und ich ja nach Polen zur Weichselquelle will, ist diese Zugverbindung die beste, um nach Wisla, den Ort an der Weichselquelle, zu gelangen. Cieszyn, so heißt der Ort auf polnisch ist eine geteilte Stadt. 500 Meter vom Bahnhof entfernt fahre ich über die Olsa, die hier Grenzfluss ist, und ich bin in Polen. Von hier sind es dann nur noch 25 Kilometer bis nach Wisla. Das Wetter ist heute sehr schön. Es ist sonnig und die Temperaturen steigen bis fast auf 30°.

Die Teilung der Stadt hat ihren Grund in einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen der Tschechoslowakei und Polen 1919/20. Als am Ende des Ersten Weltkriegs die am 28. Oktober 1918 ausgerufene souveräne Tschechoslowakei entstand, geriet der Ort, den die dort ebenfalls lebenden Deutschen Teschen nannten, zwischen die Fronten des Polnisch-Tschechoslowakischen Grenzkriegs. Beide Länder beanspruchten die wirtschaftlich starke Region, ohne dass im Herbst 1919 im Vertrag von Saint-Germain dazu eine Regelung geschaffen wurde. Obwohl die polnische Regierung bereits die Sejmwahlen auch für die Stadt Teschen ausgeschrieben hatte, marschierten tschechische Soldaten am 23. Januar 1919 in Teschen ein, was auf beiden Seiten mehrere Tote zur Folge hatte. Erst ein Schiedsspruch der Siegermächte beendete im Juli 1920 den Konflikt. Die Stadt Teschen wurde entlang der Olsa geteilt; die Altstadt mit dem historischen Burgberg kam zu Polen, die Tschechoslowakei musste sich mit der westlich gelegenen Vorstadt mit dem Bahnhof an der für sie wichtigen Kaschau-Oderberger Bahn begnügen. Der polnische Teil, Cieszyn, wurde in die Autonome Woiwodschaft Schlesien mit der Hauptstadt Kattowitz eingegliedert.

Für heute bleibe ich aber in Cieszyn und habe mich in dem Hostel 3 Bros` einquartiert, wo ich sogar ein Einzelzimmer bekomme. Der Manager des Hostels hatte mir eine Nachricht geschrieben, dass er wegen der Pandemiebedingungen nicht anwesend sei und man deshalb einen self-check-in machen solle. Er gibt den Code für die Tür bekannt und verweist auf nähere Angaben an der Rezeption. Auch für einen Fahrradstellplatz ist inzwischen gesorgt. Anfangs wurde mir mitgeteilt, dass ich dieses nur auf einem entfernten öffentlichen Parkplatz abstellen könne. Nachdem ich aber mitgeteilt hatte, dass ich nicht mit einem Motorrad, sondern mit einem Fahrrad unterwegs sei, hat sich das geklärt.

Mit dem Code war es kein Problem, die Haustür zu öffnen. Allerdings hätte man sie auch ohne Code öffnen können. In der Tür befand sich nämlich ein Fenster, das nicht mehr verschließbar war. Wenn man durchgriff kam man mit Leichtigkeit an den Türgriff und die Tür ließ sich öffnen. Mein Fahrrad konnte ich dann in einem Lagerraum im Erdgeschoss abstellen. An der Rezeption im ersten Stock lag ein Bogen Papier für mich, auf dem in englischer Sprache wirklich alles hervorragend erklärt wurde. So bezog ich dann mein einfaches aber ordentliches Zimmer unter dem Dach.

Ein mit großen Buchstaben am Desk angebrachter Hinweis verwirrte mich dann doch etwas: “ Cash only, sorry (we don´t support capitalistic banks)“. War ich hier unter die Fittiche eines Altkommunisten geraten? Nun polnische Zloty brauchte ich ohnehin, also machte ich mich auf den Weg, eine Bank bzw. einen Bankautomaten zu suchen. Da das Hostel mitten im Zentrum unweit des Rathausplatzes lag, durfte es eigentlich nicht schwer sein, hier eine Bank zu finden. So fand ich auch gleich im sicher nobelsten Gebäude auf dem Rathausplatz eine Filiale der BNP Paribas, der Partnerbank der Deutschen Bank. Hier konnte ich meines Wissens ich ohne Gebühren Geld abheben. Der Kurs war allerdings grottenschlecht. So bekam ich für den EURO lediglich 4 Zloty, obwohl mein Umrechnungs-App eigentlich von ca. 4,50 Zloty ausging. Was solls, nun hatte ich erst mal eine ausreichende Grundausstattung.

Jetzt konnte ich mich erst einmal der Stadt widmen. Cieszyn, das bis 1919 zu Österreich-Ungarn gehörte, und damals Teschen hieß ist hier in der Altstadt noch sehr stark von der früheren KuK-Architektur geprägt. Sehenswert ist gleich der Markt- oder Rathausplatz (polnisch Rynek). Da ist zunächst einmal das Rathaus, das anstelle eines älteren Ende des 15. Jahrhunderts abgebrannten Rathauses 1496 im Stil der Renaissance errichtet wurde. Es wurde mehrmals zerstört, unter anderem 1552, 1720 und 1789, aber stets wieder aufgebaut. Der derzeitige Bau geht auf das Jahr 1800 zurück. Gleich daneben mit der BNP-Filiale fällt das Hotel „Zum Braunen Hirsch“ im Wiener Jugendstil aus dem Jahr 1912 ins Auge. Ob es außer der Jahreszahl tatsächlich der klassischen Wiener Jugendstilarchitektur zugerechnet werden kann, habe ich Zweifel. Ich würde es eher einer Form des Neobarock zuordnen. Aber was soll´s. Der Rynek ist übrigens recht groß. Ich schätze mal ca. 100×50 Meter. Umgeben ist er von einer Reihe Bürgerhäusern. Auffällig auch das Nationalhaus und das ehemalige Postamt im Jugendstil aus dem Jahre 1909. Was es mit dem Nationalhaus auf sich hat, habe ich bisher nicht feststellen können. In der Mitte des Platzes steht der Floriansbrunnen.

Mein Weg durch die Stadt führt mich dann vorbei an der gotisch-barocken Pfarrkirche St. Maria Magdalena, dem Dreibrüder-Brunnen, der Säule mit der Madonna mit Kind bis zum Burgberg mit dem klassizistischen Jagdschloss aus den Jahren 1838-1840, das als Sommerresidenz der Habsburger diente und den Burgberg von der Stadt abschirmt. Dennoch ist es kein Problem auf den Burgberg zu gelangen, der sich heute als Parkanlage präsentiert und auf dem vor allem der Piastenturm und die Rotunde als Reste der alten Burg noch zu sehen sind. Auf dem Burgberg befand sich bereits im 9. Jahrhundert eine slawische Festung. Im 10. Jahrhundert kam Cieszyn an das von den Piasten regierte Polen. Die erste urkundliche Erwähnung der Burg datiert auf 1155. Die Burg wurde nach Gründung des Herzogtums Teschen im 13. Jahrhundert ausgebaut. Im 16. Jahrhundert wurde die Burg zu einem Renaissance-Schloss der schlesischen Piasten umgestaltet. Während des Dreißigjährigen Kriegs wurde es in Mitleidenschaft gezogen, schließlich 1646 von schwedischen Truppen zerstört. Nach 1659 wurden weite Teile des Schlosses abgetragen. Von hier oben hat man heute einen wunderschönen Blick über die Olsa nach Cesky Tesin und auf die Schlesischen Beskiden.

Nach dem Burgberg, es beginnt inzwischen schon zu dämmern, gehe ich zurück in die Stadt vorbei am Adam-Mickiewicz-Theater aus dem frühen 20. Jhdt. und auf den Rynek, wo ich in einem Restaurant im Freisitz das Abendessen einnehme. Da es mit der Übersetzung der Speisekarte noch nicht so gut klappt, bleibe ich bei einer Pizza Quattro Stagioni hängen, die auch durchaus gut mundet.

Tagesstrecke: 5,09 Km (mit dem Fahrrad) – rund 700 Km mit dem Zug

 

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