Elena serviert heute Morgen ein reichhaltiges Frühstück. Es fehlt an nichts. Porridge, Rühreier mit Würstchen, hartgekochte Eier, Brot, Wurst und Käse, Marmelade, Salate, Kefir und natürlich Kaffee. Danach packe ich mein sieben Sachen zusammen und bezahle für alles zusammen, also Übernachtung, lunch und Abendessen, gerade mal 35 €. Ich kann Elenas Homestay wirklich nur weiterentwickeln. So engagierte und freundliche Gastgeber hatte ich wirklich selten. Ich hoffe, dass sie ihre Expansionspläne verwirklichen können. Es würde dem Tourismus in Russland sicher gut tun. Wir machen dann noch einige Fotos und dann geht’s bei mir weiter.

Heute liegen etwa 60 Kilometer vor mir. Also auch nicht die Welt. Inzwischen habe ich mich auch wieder eingeradelt und ab übermorgen werden die Etappen auch wieder länger. Morgen will ich aber noch einmal einen Abend in Russland verbringen und zwar in Ivangorod, der letzten russischen Stadt vor Estland. So werde ich dann auch mein russisches Geld los. Man gibt ja hier wirklich nicht viel aus.

Die Landschaft aber auch die Besiedlung haben sich nach Sankt Petersburg deutlich verändert. Während nördlich des Finnischen Meerbusens bis Sankt Petersburg noch der klassisch boreale Nadelwald dominiert, so ist der Wald im Süden des Finnischen Meerbusens überwiegend ein Laubwald. Auch die Besiedlung ändert sich. Es wird jetzt sehr dörflich und ländlich, wobei die meisten waldfreien Gebiete nicht unbedingt landwirtschaftlich genutzt werden. Hier sind wieder mehr Weiden und Heuernten als Getreidefelder. Einzelne Pferdekoppeln sieht man und einzelne Kühe weiden vor Wohnhäusern. Ansonsten wird die Landschaft leicht hügelig. Es gibt wieder mehr Steigungen, wenn man ins Landesinnere kommt. Sie fallen aber recht moderat aus.

Die Dörfer wirken noch recht ärmlich, obwohl es auch zunehmend neue und moderne Wohnhäuser gibt. Auch die Menschen verändern sich natürlich. Es sind keine modernen Großstädter. Viele sehen vorzeitig gealtert aus, haben nur noch wenige Zähne im Mund und sind auch sehr einfach und zum Teil recht schmuddelig gekleidet. Ein wie auch immer gearteter Wohlstand scheint in den Dörfern noch nicht angekommen zu sein. Da ich vor fünf Jahren die Strecke schon einmal gefahren bin, habe ich den Eindruck, dass es sich hier nur sehr langsam vorwärts bewegt. Was sich sehr zum Positiven verändert hat, ist die Infrastruktur. Die Straßen hier auf der Strecke sind heute ordentlich bis wirklich top. Vor fünf Jahren waren es noch eine arge Rüttelstrecken.

Auf einer Anhöhe der Straße mache ich wie schon vor fünf Jahren einen Fotostopp. In der Ferne sieht man die Stadt Sosnowy Bor und das dazugehörende Kernkraftwerk umgeben von weiten Wäldern. Die Umgebung um Sosnowy Bor ist auch heute noch Sperrgebiet, weshalb der Ostseeradweg und der Iron-Curtain-Trail hier auch mehr im Landesinneren und nicht direkt an der Ostsee entlangführen. Während dieses Aufenthalts kommt mir ein Ehepaar aus Münster entgegen. Die, als wir uns verständigt haben, dass wir Deutsche sind, für einen kleinen Schnack anhalten. Sie fahren fahren den R 1 von Klaipeda nach Sankt Petersburg. Der R 1, der von London nach Sankt Petersburg führt ist neben dem Ostseeradweg und dem Iron-Curtain-Trail der dritte europäische Fernradweg, der hier durchkommt. Heute soll ihr letzter Fahrtag sein. Dann machen sie noch drei Tage Station in Sankt Petersburg, bevor sie wieder nach Deutschland zurück müssen. Sie ist Lehrerin und er Dozent an der Fachhochschule. Beide haben das Fahrradreisen aber wohl auch erst relativ spät für sich entdeckt, obwohl sie sicher mindestens 15 Jahre jünger sind als ich. Wir tauschen uns ein wenig über Sankt Petersburg aus. Da sie beide Kunst studiert haben, ist der Besuch der Eremitage in Sankt Petersburg für sie Pflicht.

Ansonsten ist über die Tour selbst heute wenig zu berichten. Etwas abenteuerlich entwickelte sich aber die Zielfindung. Zunächst schickte mich mein Komoot-Navi wieder einmal eine Abkürzung, die mich über holprige Feldwege um ein riesiges ehemaliges Kasernengelände herumführte, womit ich zwar sicher den Weg abkürzte aber Zeit verlor. Na ja, ich habe ja genug Zeit. Ich hatte über booking.com eine Unterkunft für 20 € in einem Motel/Hostel gebucht. Es sollte in Kotly, einem ziemlich unbedeutenden Ort mit einer bestenfalls recht ansehnlichen orthodoxen Kirche, sein. Nachdem ich mit der Adresseneingabe in meinem Navi wenig Erfolg hatte, tippte ich einfach auf den button bei booking.comm, mit dem man die Lage der Unterkunft auf google maps sehen kann. Dort fuhr ich dann hin, fand aber das Motel nicht und auch nichts, was dem ähnlich sah. Nun begann ich einige Einwohner zu fragen. Die meisten hier konnten aber keine lateinischen Buchstaben lesen, so dass ich dieses Unterfangen auch erfolglos abbrechen musste. So rief ich in dem Motel an, aber der Mann an der Rezeption verstand kein Englisch. Er fragte mich zwar, ob ich Wolfgang Kohl sei, aber es dauerte ziemlich lange, bis er mein Problem verstand. Er meinte dann aber nur: gps. Mit diesem Hinweis kam ich aber auch nicht viel weiter. Ich probierte nun alle Möglichkeiten meiner Maps durch, wurde aber nicht fündig. Nach etwa 10 Minuten, sah ich eine Nachricht auf meinem Handy, die da in Deutsch lautete: „Schreiben Sie auf Google Maps das Hotel Ust-Luga“.

Gesagt getan und siehe da, mit dem Begriff Hotel wurde ich insofern fündig, dass ich meine Suche nun etwa zwei Kilometer weiter fortsetzen konnte. Das Navi führte mich zurück an das Kasernengelände, dass ich gerade umfahren hatte. Vor dem verschlossenen Tor streckte ein älterer Herr in Zivil seinen Kopf heraus und rief mir freundlich zu: Wolfgang Kohl. Als ich das nickend bejahte grüßte er mich fast militärisch, zeigte mit dem Finger auf das nächste Kasernengebäude, drückte auf einen Knopf und das Tor öffnete sich. In dem Kasernengebäude begrüßt mich dann ein etwas runder und untersetzter Herr, der sich mir als Edward oder Eduard vorstellte. Er spricht zwar weder Englisch noch Deutsch, geht aber virtuos mit dem Google-Übersetzer um. Das erste, was er mich fragte war: Leipzig? Als ich das bejahte, deutete er auf sich und sagte Magdeburg und hob dabei zwei Finger und sagte etwas, was ich als years verstand. Ich fragte ihn dann: Army? Das lehnte er mit energischen Handbewegungen ab und meinte etwas, was ich als schecebie verstand. Als er merkte, dass ich ihn etwas verständnislos anschaute tippte er in sein iPhone die drei Buchstaben: KGB. Nun war ich also aufgeklärt und wusste, wenn auch etwas irritiert, dass ich heute Nacht in sicherer Hand war. Ich glaube in Deutschland wäre es nur schwer vorstellbar, dass jemand an der Rezeption eines Hotels beispielsweise einem englischen Gast mitteilt, dass er früher für die Stasi in England tätig gewesen sei. Ich fand seine Offenheit insofern schon fast wieder sympathisch.

Dann begann er aber sehr bürokratisch meinen Pass und meine russische ID-Karte zu bearbeiten und mir mitzuteilen, dass er bei mir keine Kartenzahlung, weil ihm dies nur mit Karten von russischen Banken erlaubt sei. Das verwunderte mich, weil bei booking.com die Möglichkeit der Kartenzahlung angegeben war. Als ich mich erkundigte warum, sprach er etwas in seinen Übersetzer, was auf Deutsch dann hieß: Wegen des Regimes. Ich schaute ihn noch einmal verwundert an und fragte welches Regimes. Da sah er, dass der Google-Übersetzer ein Wort vergessen hatte und meinte wegen des Regimes der Sanktionen. Auch wenn ich die Begründung nicht ganz nachvollziehen konnte, beließ ich es dabei, weil eine Diskussion wahrscheinlich ohnehin zwecklos gewesen wäre. Nun wird es zwar etwas knapp, aber ich werde wohl trotzdem mit meinem russischen Geld hinkommen. Jetzt noch mal 1 bis 2 Tsd Rubel abzuheben, wäre allerdings ein Verlustgeschäft, weil mir meine Bank für jede Abhebung im Ausland sechs EURO berechnet.

Als Zimmer bekam ich das Zimmer gleich neben dem Eingang. Es erinnerte mich fatal an die UvD-Zimmer (Unteroffizier vom Dienst – für die Ungedienten!), die ich zu meiner Zeit als Bundeswehrsoldat also vor etwas mehr als vierzig Jahren kannte und auch gelegentlich nutzen musste. Aber man kann es hier durchaus aushalten. Ich habe ein Bett, einen Schreibtisch, einen Stuhl, Einen Sessel, einen Spint und ein Waschbecken im Zimmer und wlan funktioniert auch. Was will ich also für eine Nacht mehr?

Tagesdaten: 74,89 Km; 06:02:48 Std. Fz.; 12,38 Km/h; 315 Hm

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