41.+42. Tag: (18.+19. April 2024) – Von Calais nach Leipzig

Viel gibt es nicht mehr zu erzählen. Mit meinem Vermieter hatte ich verabredet, dass wir uns um 6:30 Uhr zur Übergabe treffen. Gestern hatte er mir abgesagt, weil er eine Reise habe antreten müssen. Er würde mir die Kaution überweisen. Ich bin mal gespannt, ob das wirklich problemlos funktioniert. Ich habe bei dem Vermieter so ein merkwürdiges Gefühl. Ich räume mein Apartment auf und versuche alles so zu hinterlassen wie ich es vorgefunden habe, frühstücke noch schnell ein schon gestern erworbenes Baguette mit Schinken und Käse und trinke einen Kaffee. Dann geht es los. Bisher habe ich die Fahrkarte nur bis Strasbourg gelöst. Ich hatte mir schon in den letzten Tagen überlegt, noch einen Zwischenstopp in Strasbourg oder Offenburg einzulegen, sonst würde ich erst nach Mitternacht in Leipzig angekommen. Offenburg ist die Haltestelle, von der man, wenn man aus Paris kommend über Strasbourg fährt, einen entsprechenden Anschluss in das nördliche Deutschland bekommt. Von Strasbourg bis Offenburg muss man dann die ca. 25 Kilometer entweder mit einem Regionalzug oder mit dem Fahrrad fahren.

Auf meiner Fahrt nach Strasbourg muss ich in Amiens und Paris umsteigen. Umstiege mit dem Fahrrad sind in Frankreich immer wieder eine Herausforderung. Das liegt zum einen daran, dass es erheblich weniger Aufzüge an den Bahnhöfen gibt als in Deutschland, wo es ja inzwischen für fast alle Bahnsteige, an denen es notwendig ist, Aufzüge gibt. Zum anderen liegt es auch daran, das die Aufzugskabinen für Fahrräder schlicht zu kurz sind und man die Fahrräder daher nur schwer hineinbekommt. Wenn man nicht gerade ein Klapprad dabei hat, geht es nur diagonal mit eingeschwenktem Vorderrad und dafür muss ich dann auch immer eine Tasche am Vorderrad abnehmen. In Calais muss ich aber erst einmal einen Bahnsteig hinunter, zu dem es gar keinen Aufzug gibt. Das geht dann immer so, dass ich zunächst die drei am Gepäckträger befestigten Taschen hinuntertrage und dann das Fahrrad mit den beiden Fronttaschen nachhole. In Calais kommt mir dann ein Mann meines Alters zur Hilfe und bietet mir an, mein Fahrrad für mich hinterherzutragen. Ich bin überrascht über das Angebot, nehme es aber natürlich dankend an. In Amiens habe ich dann etwa eine Stunde Aufenthalt. In Paris muss ich sogar den Bahnhof wechseln und die 900 Meter vom Gare du Nord zum Gare de l´Est fahren, was aber kein großes Problem darstellt. Auch hier habe ich etwa eineinhalb Stunden Aufenthalt. Dann geht es in nicht einmal zwei Stunden mit dem TGV die ca. 500 Kilometer von Paris nach Strasbourg. Ähnlich wie im ICE kann man auch in Frankreich Fahrräder im TGV mitnehmen. Allerdings gibt es offensichtlich nicht genügend TGV-Züge die mit Fahrradplätzen ausgestattet sind. Die TGV sind verglichen mit unseren ICE tatsächlich wohl schon recht alt. Als ich also in meinen TGV einsteige, ist von einem Fahrradplatz nichts zu sehen. Ich steige noch einmal aus und wende mich an einen der Bahnbediensteten und frage ihn auf englisch, wo denn der Platz für mein Fahrrad wäre. Er kommt dann auch freundlicherweise mit und klappt vier längs angebrachte Sitze hoch und weis darauf hin, dass dies mein Stellplatz ist. Soweit so gut, nun muss ich nur noch wissen, wie ich mein Fahrrad befestige, damit es nicht wieder wie schon bei der Hinfahrt umkippt. Aber es kommt noch ein Reisender mit einem e-bike und stellt dieses wie selbstverständlich vor mein Rad und findet auch einen Sicherheitsgurt, mit dem er dann beide Räder befestigt.

Die Zeit in der Bahn vertreibe ich mir mit den Erinnerungen von Wolfgang Schäuble über sein „Leben in der Politik“. Das Buch ist meines Erachtens sehr lesenswert, weil es zum Teil sehr persönlich die Geschichte der letzten 50 Jahre aus der Sicht eines Beteiligten widerspiegelt und aus einer politischen Position, die nicht unbedingt meine ist. Ein solcher Perspektivenwechsel lohnt sich aber auch für den Leser. Während der Fahrt buche ich dann für morgen die Fahrt von Offenburg nach Leipzig über die deutsche Bahn-App und eine Unterkunft in Offenburg. Eigentlich möchte ich die Fahrt von Strasbourg nach Offenburg mit dem Fahrrad zurücklegen. Als ich in Strasbourg ankomme regnet es aber recht heftig, so dass ich doch den Regionalzug bevorzuge. Mein Hotel liegt dann nur wenige Meter vom Bahnhof in Offenburg entfernt. Es ist ein schönes recht großes Zimmer. Das Hotel steht direkt im Zentrum gegenüber der Evangelischen Stadtkirche. Nachdem ich mich eingerichtet habe, mache ich noch einen Spaziergang zum nahegelegenen Waldbachfriedhof, auf dem sich Wolfgang Schäubles Grab befinden soll. Ich denke, dass es zu meiner derzeitigen Lektüre passt, wenn ich hier bin, nun auch das Grab besuche. Schäuble hat während seiner politischen Laufbahn hier in Offenburg und dann in dem unweit von Offenburg gelegenem Gengenbach sein Privatleben verbracht. Er hatte hier auch seinen Wahlkreis und war seit 1972, also seit über 50 Jahren direkt gewählter Abgeordneter dieses Wahlkreises im Deutschen Bundestag.

Nach einiger Zeit finde ich das Grab auch. Es ist zur Zeit sehr schlicht. Ein einfaches Holzkreuz, keine Kränze und Gestecke mehr, nur noch zwei Gestecke der Familie, einige kleinere Blumensträuße und persönliche Schieferplättchen der Familienangehörigen als letzter Gruß. Ich verharre ein wenig vor dem Grab und denke über diesen Mann nach, dessen politische Anschauungen ich nicht unbedingt geteilt habe, aber der eine faszinierende Persönlichkeit war. Mit 50 nach einem Attentat querschnittgelähmt wieder in die Politik zurückgekehrt und seit 16 Jahren mit einer Krebserkrankung gelebt und dabei noch die ganze Zeit bis 1921 wichtige politische Ämter wahrgenommen. Von der Krebserkrankung wussten wohl nur seine engsten Angehörigen, und wenn ich es richtig mitbekommen habe, ist sie auch erst nach seinem Tod im Dezember letzten Jahres öffentlich bekannt geworden.

Ein Blickfang neben dem Grab von Wolfgang Schäuble ist übrigens das Grab der Familie Henselmann. Fidelius Henselmann (1857-1931) war ein Maler, der seit 1880 als als Kirchen- und Kunstmaler in Offenburg tätig war. In dem Grab ruhen neben ihm, sein Frau und ihr jüngster Sohn. Auf dem Grab befindet sich kein klassischer Grabstein, sondern eine etwa zweieinhalb Meter hohe schmiedeeiserene Skulptur mit Rosengirlanden und Kakteenblättern. Da seine Frau zwei Jahrzehnte vor ihm verstarb, ist es meines Erachtens naheliegend, dass dieses Kunstwerk zumindest nach Henselmanns Entwürfen entstand.

Dann gehe ich zurück in mein Hotel. Inzwischen  hat es wieder zu regnen begonnen. Nachdem auch dieser Schauer wieder aufgehört hat, besuche ich eine Gaststätte, die ich auf dem Weg zum Friedhof gesehen hatte und gönne mir eine Flammkuchen, was ich hier, unweit des Elsass angemessen finde.

Am Freitag morgen regnet es dann mal wieder. Ich frühstücke im Hotel und habe dann noch bis 11 Uhr Zeit, bevor mein Zug um 11:27 abfährt. Er hat nur fünf Minuten Verspätung. Die Fahrt verläuft weitgehend ereignislos. Wegen einer Stellwerksstörung hat der Zug dann bis Frankfurt 25 Minuten Verspätung, holt diese dann aber zu meinem großen Erstaunen bis Fulda wieder ein, offensichtlich weil er eine andere Strecke fährt als die normale. Aber die Pünktlichkeit hält nicht lange vor. Aus Erfurt fährt er mit 25 Minuten Verspätung ab, weil es einen Polizeieinsatz im Zug gegeben haben soll. Ich erreiche also Leipzig um kurz vor 18 Uhr. Vor der Haustür nimmt mich dann Heidrun in Empfang und die Freude ist groß, dass wir wieder zusammen sind und ich zu Hause bin.

 

Ein Kommentar

  • Steffi sagt:

    Lieber Wolfgang, schön dass du gesund und vielen schönen Erlebnissen wieder zu Hause angekommen bist.
    Vielleicht begegnen wir uns ja bald mal. Bis dahin liebe Grüße Steffi

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