Heute an den Startpunkt des Iron Curtain Trails, die Grense Jakobselv. Ich fahre heute mit kleinem Gepäck. Der Tag verspricht schön zu werden. Es ist heiter bis wolkig und die Sonne lässt die Temperaturen auf rund 15 Grad steigen. Der Weg von Grense Jakobselv nach Kirkenes wird auch von bikeline als „landschaftlich schön, aber auch anstrengend“ bezeichnet. Ich mache die Strecke hin und zurück und kann die Einschätzung teilen.  Es geht eigentlich ständig Auf und Ab und die höchste Höhe ist am Jarfjordfjellet mit 190 Metern erreicht. Hier finden sich auch die ältesten Gesteine Europas. Was das genau bedeutet, ist mir unklar. Aber es wird auch bei Wikipedia ausgeführt, dass die Gegend um Kirkenes das mit Abstand älteste Stück des europäischen Kontinents sei. So verweist ein Schild auf das älteste Fjell Norwegens. Nun ziemlich alt sehen die Felsen tatsächlich aus.

Aber auch die Landschaft verändert sich noch einmal. Obwohl es nur 190 Meter hoch geht, ist die Landschaft hier oben noch karger. Die Birken sind noch kleiner und erreichen selten eine Höhe von drei Metern und auch andere Bäume werden nicht viel höher wie die wenigen Kiefern, Ebereschen und Pappeln. Sie werden auch alle immer mehr zu Buschwerk. Die gut asphaltierte Straße führt durch diese niedrigen Wälder an Fjordausläufern und Seen entlang. Die Fjordausläufer kann man von den Seen dabei meist nur unterscheiden, wenn Ebbe ist. Ansonsten kommen immer mehr beeindruckende Bergmassive in das Blickfeld.

Nach Grense Jakobselv geht es dann wieder steil bergab und ich gelange an den Fluss, dessen Mitte die Grenze zwischen Norwegen und Russland ist. Inzwischen hat es sich allerdings zugezogen und dicke dunkle Wolken lugen hinter den Bergen hervor. Schließlich beginnt es auch zu tropfen, so dass ich meinen Regenanorak, den ich vorsichtshalber doch eingepackt hatte, heraushole und anziehe. Zu allem Überfluss fängt es auch noch an zu blitzen und zu donnern und schließlich öffnet der Himmel seine Schleusen und es schüttet wie aus Eimern. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet und als die Blitze dann auch noch direkt über mir zucken, was man am unmittelbar darauffolgenden Donner doch sehr deutlich merkt, wird es mir wirklich mulmig. Ich weiß nämlich nicht, was ich machen soll. Gottlob erreiche ich noch den kleinen Weiler Brekkan etwa acht Kilometer vor Grense Jakobselv. Aus einem kleinen Holzhaus kommen gerade zwei Grenzsoldaten und steigen in einen vor dem Haus stehenden Jeep. Hinter den beiden erscheint ein älterer, weißhaariger Herr, den ich um Einlass bitte, den er auch sofort gewährt und mich sogar auffordert mein Fahrrad in den Vorraum zu stellen.

Das Haus ist recht alt und eine richtige Rumpelkammer. Im Wohnraum steht ein großer Schreibtisch, auf dem unzählige Sachen herumliegen. Die beiden sehr jungen Grenzsoldaten hatten wohl gerade geholfen eine alte Wandvitrine aufzuhängen. Außerdem wird der Raum auch von einem gusseisernen Herd geprägt. Der Hausherr, er heißt Hugo und ist pensionierter Lehrer für Mechanik, bietet mir den einzigen Stuhl mit Armlehne an und macht Feuer im Herd, so dass es bald wärmer wird. Hugo erzählt mir viel. Leider können wir uns aber kaum verständigen, weil wir beide nicht über die notwendigen Sprachkompetenzen verfügen. So spricht er noch weniger Englisch als ich. Er beschäftigt sich wohl mit Angeln, Gesteinen und mit Vogelkunde und anderen Dingen. Sein Hauptwohnsitz ist wohl Kirkenes und hier verbringt er sozusagen den Sommer. Ich habe den Eindruck es ist sein Geburtshaus. Derweil kracht es draußen gehörig und eine wahre Sintflut kommt vom Himmel herunter.

Es dauert zwei Stunden, bis das Gröbste vorbei ist. Ich will natürlich heute auf jeden Fall noch nach Grense Jakobselv, dem Beginn des Iron Curtain Trails. Hugo legt aber Wert darauf, dass ich auf dem Rückweg noch einmal bei ihm vorbeischaue. Nach dem Guss bleibt der Himmel dicht bewölkt und es ist deutlich kühler geworden, so dass sich auch Grense Jakobselv nicht besonders freundlich zeigt. Eigentlich ist hier auch überhaupt nichts los. Wenn ich richtig gezählt habe, sind es gerade mal fünf Häuser und eine kleine, aber markant gelegene Kapelle. Ein Hinweis auf den Beginn des Iron Curtain Trails sucht man allerdings vergeblich. Er ist in Norwegen auch nicht ausgewiesen, obwohl durchaus Radwege für die Strecke gebaut werden. Auf der russischen Seite sieht man noch weniger, nur einige undefinierbare Grenzanlagen.

Einzige Sehenswürdigkeit ist damit die kleine Kapelle, die nach dem schwedisch-norwegischen König Oskar II. benannt ist sowie der dazugehörige Friedhof. Die Kapelle wurde gebaut, um den Streitigkeiten, um die Grenze Einhalt zu gebieten. Sie sollte so die norwegische Oberhoheit über das Gebiet zum Ausdruck bringen. Ob das tatsächlich gelungen ist, bleibt unbekannt. Der Friedhof ist multinational und multiethnisch. So sind hier Samen, Russen und Norweger begraben. Auf dem Friedhof werde ich dann erstmals von Mücken traktiert und da ich ja mit kleinem Gepäck unterwegs bin, kann ich mich noch nicht einmal wehren. So bin ich für kurze Zeit ein gefundenes Fressen.

Ich verbringe etwa eine dreiviertel Stunde in Grense Jakobselv. Dann mache ich mich auf den Rückweg. An einem Haus in Brekkan winkt mir ein älterer Herr mit Kappe hinterher, packt sich sein Fahrrad und fährt mir hinterher. Ich bin erst irritiert, dann denke ich aber es könnte Hugo sein, der mir da mit beachtlicher Geschwindigkeit auf einem verrosteten Fahrrad hinterherkommt. Er war wohl gerade bei einem Bekannten der Nachbarschaft. Ich will mich eigentlich nicht lange aufhalten, weil es inzwischen schon auf 16 Uhr zugeht. Hugo legt aber Wert darauf, dass ich mich in seinem Hüttenbuch verewige. Offensichtlich vermietet er das Haus auch gelegentlich, denn das Hüttenbuch erweist sich als gut gefüllt. Ich schreibe meinen Dank hinein und füge hinzu, dass ich natürlich auf meiner Webseite über seine Gastfreundschaft berichten werde. Leider kann er ja gar nicht lesen, was ich da geschrieben habe. Aber Hugo freut sich trotzdem.

Dann geht es zurück in meine Unterkunft. Die Rückfahrt ist anstrengender als die Hinfahrt. So beginnt es mit einer sich lang hinziehenden Steigung. Ich komme erst gegen 19.15 Uhr in meinem Quartier an, bin geschafft, freue mich aber, dass ich die erste Etappe des Iron Curtain Trails bewältigt habe.

Tagesdaten: 91,83 km; 07:15:39 Std. Fz.; 12,64 km/h; 1030 Hm

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