Ich habe nicht sonderlich gut geschlafen und benötige erst einmal 20 Minuten Gymnastik mit Gabi Fastner, um meinen lädierten Rücken wieder schmerzfrei zu bekommen. Das Frühstück kann man auch vergessen. Das Geschirr ist schmuddelig und auch das Frühstücksbuffet macht nicht gerade einen einladenden Eindruck. Insbesondere die Wurst ist sehr einfach und auch schon alt und etwas schmierig. Der Kaffee verfügt über wenig Geschmack.  Man hat den Eindruck, dass er bestenfalls in Sichtweite an echtem Kaffee vorbeigelaufen ist.  So belasse ich es dabei, mich lediglich mit zwei mit Käsescheiben belegten Broten zu begnügen und beabsichtige, mir in Thorn ein zweites Frühstück zu gönnen. Nach dem missglückten Frühstück mache ich mich auf den Weg die Altstadt von Thorn zu erkunden.

Zunächst geht es aber noch einmal an den nahegelegenen Aussichtspunkt, den ich gestern Abend entdeckt habe und wie erwartet ist der Blick auf die Altstadt auch an diesem Morgen traumhaft. Die Sonne steht hinter mir und damit habe ich das beste Licht, um das Altstadtpanorama zu fotografieren. Unter einem klaren blauen Himmel erstreckt sich die Altstadt entlang der Weichsel und spiegelt sich auch recht malerisch in ihr. Was man hier sieht, ist freilich mit dem Begriff Altstadt nicht genau beschrieben. Das alte Thorn besteht vielmehr aus drei Teilen: aus der Altstadt, der Neustadt und dazwischen der ehemaligen Burg des Deutschen Ordens. Nachdem ich den Blick einige Zeit genossen habe, wandere ich nun wieder zur Jozef-Pilsudski-Brücke, auf der ich am besten in die Altstadt komme. Unterwegs reflektiere ich ein wenig die Geschichte Thorn.

Die Stadt Thorn ist wohl die erste Gründung des Deutschen Ordens, nachdem er auf Bitten des Herzogs von Masowien das Kulmerland übertragen bekommen hat, um die in der Gegend wohnenden heidnischen baltischen Pruzzen zu christianisieren. Aktiv wurde der Orden aber erst, nachdem Kaiser Friedrich II. ihm 1226 das Herrschaftsrecht über das zu erobernde Land zugesichert hatte. Den Grundstein zu der Stadt Thorn legte 1231 der Landmeister Hermann von Balk. Einwanderer aus Westfalen bevölkerten die Stadt, die am 28. Dezember 1233 mit der Kulmer Handfeste das Stadtrecht erhielt. Thorn ist die älteste Stadt Preußens. 1260 wurde die Burg Thorn erbaut, durch die die Stadt befestigt wurde. Im 14. Jahrhundert trat Thorn der Hanse bei und gehörte somit wie Elbing, Danzig, Königsberg und Kulm zu den Hansestädten. Thorn entwickelte sich dadurch zu einem der wichtigsten Handelszentren in diesem Teil Europas. Dazu trug auch die vorteilhafte Lage an der Weichsel bei. Die reiche Stadt konkurrierte mit solch mächtigen Handelsstädten wie Lübeck, Brügge oder Hamburg. Die Bedeutung des alten Stadtensembles beruht insbesondere darauf , dass bis heute die Charakteristika einer mittelalterlichen Hafenstadt sichtbar sind. Sie wurde daher auch im Jahr 1997 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Die Altstadt wird mit der ebenfalls bereits 1264 gegründeten Neustadt sowie der Burg des Deutschen Ordens als einer der am besten erhaltenen mittelalterlichen Siedlungskomplexe Nordeuropas angesehen. Dass dies so ist, ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass Thorn nie eine Industriestadt war und daher selbst im Zweiten Weltkrieg keine wesentlichen Zerstörungen erfahren hat.

Obwohl es die Polen selbst waren, die den Deutschen Orden ins Land geholt hatten, führte das Bestreben des Ordens, gleichzeitig seine Landesherrschaft auszudehnen und den Handel zu kontrollieren, schließlich zu kriegerischen Konflikten und einer Allianz der deutschen Handelsstädte mit dem Königreich Polen. Nach der für den Orden verlorenen Schlacht bei Grunwald  wurde 1411 der Erste Thorner Frieden zwischen dem polnischen König Władysław II. Jagiełło und dem Deutschen Orden geschlossen. Bei neuen Auseinandersetzungen wurde 1454 die Ordensburg in Thorn vom Preußischen Bund erobert und von seinen Bürgern zerstört. Der Preußische Bund, eine 1440 gebildete Interessenvertretung der preußischen Städte und des Landadels, kündigte 1454 dem Hochmeister den Treueeid auf und verbündete sich kurz darauf mit dem Königreich Polen gegen die Herrschaft des Deutschen Ordens in Preußen. Dies führte dann zum Dreizehnjährigen Städtekrieg, an dessen Ende dann am 19. Oktober 1466 der Zweite Thorner Frieden mit dem Deutschen Orden geschlossen wurde. Danach musste der Ordensstaat große Gebiete rund um die untere Weichsel an das autonome Preußen Königlichen Anteils abtreten, das sich freiwillig der Oberhoheit der polnischen Krone unterstellt hatte. Die Städte Thorn, Danzig und Elbing wurden als „Quartierstädte“ des Hansebundes polnisch-preußische Stadtrepubliken mit politischer Vertretung im Sejm.

Zeitweilige Versuche des letzten Hochmeisters Albrecht von Brandenburg-Ansbach, die königlich-polnischen Gebiete Preußens für den Deutschen Orden zurückzuerobern, endeten nach dem erfolglosen Reiterkrieg mit dem Waffenstillstand zu Thorn am 5. April 1521. Albrecht fand auch im Reich keine Unterstützung mehr für seine bisherigen Pläne und entschloss sich, im Ordensstaat Preußen die Reformation einzuführen und ihn fortan als Herzog zu regieren. Weil er dafür die Unterstützung König Sigismunds I. von Polen, seines Onkels, brauchte, schloss er mit diesem am 8. April 1525 den Vertrag von Krakau, huldigte ihm, wurde von ihm als weltlicher Herzog in Preußen anerkannt und erhielt zudem eine privilegierte Stellung im polnischen Senat. 1557 nahmen auch Rat und Bürgerschaft von Thorn die Reformation an.

Während des Großen Nordischen Krieges wurde Thorn vom 26. Mai bis 14. Oktober 1703 durch die Armee des schwedischen Königs Karl XII. belagert. Die 6.000 Mann zählende Garnison, die aus sächsischen Soldaten Augusts des Starken, des Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen, bestand, konnte den Fall der Stadt letztlich nicht verhindern. Durch den schwedischen Beschuss hatten nicht nur die Befestigungsanlagen der Stadt, sondern auch ihre Häuser schwere Schäden erlitten. Das altstädtische Rathaus war infolge des Beschusses ausgebrannt, ebenso fast die gesamte Westseite des altstädtischen Marktes und weitere Häuser. Zahlreiche andere Gebäude waren zum Teil schwer beschädigt worden. Die Stadtbefestigung wurde nach der Einnahme von den Schweden geschleift. Die Kriegsschäden und die in den Folgejahren mehrmals zu zahlenden Kontributionen ließen die Stadt für lange Zeit verarmen. Überdies wurde Thorn im August und September 1708 von einer Pestepidemie heimgesucht, die bis 1710 andauerte und in der Stadt und ihrer Umgebung rund 4.000 Todesopfer forderte.

Bei der Fronleichnamsprozession am 16. Juli 1724 kam es zu Streitigkeiten zwischen den Jesuitenzöglingen und den Schülern des protestantischen Gymnasiums. Aus diesem Tumult heraus wurde das Jesuitenkloster gestürmt und verwüstet. Die Regierung des polnischen Königs August des Starken führte daraufhin ein Verfahren gegen die Stadt, ließ den Bürgermeister Johann Gottfried Rösner und neun weitere Bürger am 7. Dezember 1724 enthaupten (Thorner Blutgericht) und bestimmte, dass der Magistrat künftig zur Hälfte aus Katholiken bestehen müsse und die Marienkirche den Katholiken zu übergeben sei.

Nach den Teilungen Polens ab 1793 und auch nach der Wiener Kongressakte gehörte Thorn wieder zu Preußen. Ab 1818 bauten die Preußen Thorn zur Festung aus. Zum Ende des 19. Jahrhunderts erlebte Thorn nach dem Bau der Preußischen Ostbahn einen wirtschaftlichen Aufschwung. Eine Spezialität waren die Thorner Kathrinchen (Pfefferkuchen). 1885 hatte Thorn mit der Garnison 23.906 – überwiegend evangelische – Einwohner. Die Einwohnerzahl wuchs bis zur Volkszählung von 1910 auf 46.000, davon waren etwa 67 Prozent deutschsprachig und etwa 32 Prozent polnischsprachig. Weil er von Deutschen und Polen hartnäckig als Angehöriger der eigenen Ethnie beansprucht wurde, beging man den 400. bzw. 450. Geburtstag des größten Sohnes der Stadt, Nikolaus Kopernikus, in den Jahren 1873 und 1923 in Thorn jeweils separat bei den deutschen und polnischen Stadtbewohnern. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde Thorn mit dem größten Teil der Provinz Westpreußen aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags 1920 an die Zweite Polnische Republik abgetreten (Polnischer Korridor). Aufgrund starker Abwanderung von Deutschen in der Zwischenkriegszeit sowie anhaltender Polonisierung sank der Anteil der deutschen Bevölkerung in der Stadt auf vier Prozent 1939.

Mein Weg führt mich von der Jozef-Pilsudski-Brücke über den Plac Rapackiego vorbei am Collegium Maximus, das die Museumssammlungen der Nikolaus-Kopernikus-Universität beherbergt, direkt in die Altstadt. Mein erstes Ziel ist das Nikolaus-Kopernikus-Haus direkt in der Altstadt unweit Marktplatzes und der St.-Johannes-Kathedrale. Kopernikus wurde 1473 hier in Thorn geboren und verbrachte hier sein Kindheit und frühe Jugend. Er ist eindeutig der bedeutendste Sohn der Stadt und kann als Universalgenie bezeichnet werden. Neben seinen das damalige Weltbild aus den Angeln hebenden astronomischen Forschungen, genoss er auch als als Fachmann der Ökonomie und des Münzwesens sowie als Kartograph hohes Ansehen. Der Komplex des Kopernikus-Hauses zeichnet sich durch zwei pittoreske gotische Fassaden aus und bildet heute ein Museum. Ob es tatsächlich das Geburtshaus von Nikolaus Kopernikus ist, ist nicht bekannt. Beide Häuser stellen ein typisches Haus eines Kaufmanns aus einer mittelalterlichen Hansestadt dar. Nikolaus Kopernikus war der Sohn des Niklas Koppernigk, eines wohlhabenden Kupferhändlers und Schöffen in Thorn, und seiner Frau Barbara Watzenrode. Die Familie Koppernigk gehörte zur deutschsprachigen Bürgerschaft der Hansestadt Thorn. Da ich noch zu früh da bin und dann später doch große Menschentrauben auf Einlass warten, verschiebe ich die Besichtigung des Hauses auf den Nachmittag. Gegenüber des Hauses gibt es aber ein Café, in dem ich mir zunächst einmal ein ordentliches Frühstück gönne.

Nach meinem zweiten Frühstück gehe ich nun die paar Schritte zur St. Johannes-Kathedrale. Der Dom St. Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist ist die Kathedrale des Bistums Toruń und die wichtigste Kirche der Stadt. Sie wurde als Pfarrkirche der Altstadt ab etwa 1270 in Form einer Basilika begonnen. 1351 zerstörte ein Brand Teile des Gebäudes, danach wurde das Langhaus als Hallenkirche erneuert. Am Nord- und Südschiff wurden einige Kapellen angebaut. Im Jahr 1406 stürzte der Kirchturm ein, er wurde ab 1407 bis 1433 erneuert. 1473 wurde Nikolaus Kopernikus hier getauft. Eine eigene Kapelle mit dem damals verwendeten Taufbecken, aber auch ein Epitaph, in das 1582 ein Gemälde des 1543 gestorbenen Astronomen eingefügt wurde.  Seit 1557 war die Kirche evangelisch. Von 1583 bis 1596 nutzten Protestanten und Katholiken sie gemeinsam. In diesen Jahren wurde das Innere verputzt und übertüncht, wobei die Wandgemälde des 14. und 15. Jahrhunderts verschwanden. Von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs blieb die Kirche weitgehend verschont. Mit der Schaffung des Bistums Toruń wurde die Pfarrkirche 1992 zu dessen Kathedrale erhoben. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden die Malereien im Presbyterium und an der Ostwand wieder freigelegt. Sie zeugen vom Reichtum der mittelalterlichen Ausschmückung der Wände.

Nach der Besichtigung der Kathedrale schlendere ich weiter bis zum Marktplatz. Ich habe mir vorgenommen, nach Möglichkeit den Rathausturm zu besteigen, weil ich davon ausgehe, dass man von da oben bei diesem schönen Wetter die Altstadt am besten überblicken kann. Zunächst muss ich aber erst einmal den Zugang finden. Nach dem ich diesen gefunden habe, wird mir aber durch ein blockiertes Drehkreuz klargemacht, dass ich wohl auch eine Eintrittskarte brauche. Wo ich die bekomme ist mir allerdings nicht auf Anhieb klar. Ich frage bei einem neben dem Eingang stehende Kiosk nach. Der Kioskbetreiber versteht wohl nach einigem hin und her mein Anliegen, weil ich immer wieder auf den Zugang zum Turm gewiesen habe. Mit Zeichensprache kommt man eben auch weiter, wenn die Sprachbarrieren zu hoch werden. Er verweist nun auf den Innenhof des Rathauses. Dort finde ich dann nachdem ich mich einige Male umgeschaut habe, den Shop, der die Karten für die Turmbesteigung verkauft. Nachdem ich eine Karte erworben habe, mache ich mich auf den Weg, den Dom zu besteigen. Es geht vor allem über Holztreppen ziemlich steil hinauf auf den 40 Meter hohen Turm. Von hier oben hat man dann bei diesem Wetter tatsächlich einen herrlichen Überblick über die Stadt und auf die Weichsel.

Nachdem ich alles abfotografiert habe, geht es wieder nach unten. Mein nächstes Ziel soll nun die Ruine der Ordensburg sein. Da ich aber kreuz und quer durch die Straßen der Altstadt schlendere, komme ich noch an einigen markanten Gebäuden vorbei. Da  ist zunächst, nur einige Schritte von der St. Johannes-Kathedrale entfernt, das „Dambski-Palais“ aus dem Barock, erbaut 1693 als Sitz des Bischofs. es ist mit reichen Fassadengliederungen und figürlichen Elementen versehen und ein schönes Beispiel für den eher filigranen Barock, der hier in der Gegend gepflegt wurde. Einmal um die Ecke und direkt hinter der Kathedrale stößt man auf das „Esken-Palais“, wegen der roten Backsteine auch „Roter Speicher“ genannt. Es stammt aus der Zeit um 1400 und wurde um 1590 im Renaissance-Stil umgebaut und war dann Sitz der bekannten Thorner Patrizierfamilie Esken. Das Palais wurde im 19. Jahrhundert zum Speicher umgebaut. Daher ist von der ursprünglichen Ausstattung nicht mehr viel vorhanden. Geblieben und sehenswert ist allerdings das reich geschmückte Renaissance-Portal. Heute beherbergt das Haus das Museum der Geschichte von Torun.

Geht man über die nächste Straße, fällt dann der Blick auf das frisch restaurierte Brückentor das im Jahre 1432 erbaut wurde. Sein Name kommt von einer nicht mehr existierende Brücke her, die aufgrund eines Privilegs des Königs Jan Olbricht aus dem Jahre 1500 gebaut wurde. Sie war seinerzeit die zweite nach der Krakauer Brücke und die längste Festbrücke im Königreich Polen. Bei der nächste Querstraße, die direkt entlang des alten Burgrabenwalls entlangführt, erblickt man dann rechter Hand einen Wachturm aus dem Ende des 13.Jhdt. und den sogenannten Junkerhof. Der Junkerhof war der Sommersitz der St.-Georgs-Bruderschaft. Diese Vereinigung von Patriziern besaß schon seit 1310/1311 den gestern schon erwähnten Artushof am Altstädter Markt. Nachdem die Bürger der Stadt 1454 die Burg des Deutschen Ordens in der Stadt zerstört hatten, errichtete sich die Bruderschaft 1489 neben der „Warte“, dem südwestlichen Eckturm der Burg, ein zweites Domizil, wahrscheinlich aus Ziegelsteinen der Burgruine. Es ist seither in die dem Weichselufer zugewandte altstädtischen Stadtmauer einbezogen und steht zwischen dem westlichen Burggraben und dem Brückentor. Später wurde das Gebäude als Schule genutzt. Durch mehrere Umbauten ging der gotische Charakter zeitweilig verloren, wurde aber im 19. Jahrhundert wiederhergestellt.

Nachdem ich den Damm des Burggrabens und den Burgraben überwunden habe, stehe ich nun vor den Ruinen der alten Ordensburg und muss erst einmal anstehen, um Eintritt zu zahlen. Die Burgruine erfreut sich offensichtlich großer Beliebtheit und wird gerade von zahlreichen Besuchergruppen belagert. Auf den ersten Blick sieht man allerdings lediglich Gesteinstrümmer. Nachdem die Bürger von Thorn sich der Hanse und 1440 dem Preußischen Bund angeschlossen hatten, versuchten sie die Deutsch Ordensherrschaft abzuschütteln. So unternahmen sie am 7. Februar 1454 den Versuch, die Burg zu stürmen. Die Verteidiger des Deutschen Ordens konnten den Sturm zunächst abwehren, daraufhin begann die Belagerung. Nach nur einem Tag ergab sich die Besatzung des Deutschen Ordens und öffnete die Tore. Der Stadtrat von Thorn billigte umgehend die Zerstörung der Burg aus strategischen Gründen, um eine erneute Stationierung auswärtiger Truppen zu vermeiden, seien es polnische oder solche des Deutschen Ordens. Die Zerstörung der Burg leitete aber den Dreizehnjährigen Krieg ein, der erst 1866 mit dem zweiten Frieden von Thorn endete.

Die Ruine blieb lange ungenutzt, zwischenzeitlich diente sie als Abfalldeponie. 1966 wurde das gesamte Gelände aufgeräumt, untersucht und die zahlreichen architektonischen Funde anschließend in den freigelegten Kellerräumen der Burg sowie im Kreismuseum Thorn ausgestellt. Die bis zu 1,5 Meter hohen Grundmauern des Erdgeschosses sowie der Burggraben wurden freigelegt, gesichert und stellenweise rekonstruiert. Die Grundmauern des achteckigen Turmes sowie weitere, höhere Mauerabschnitte auf der Südseite wurden für Besucher sichtbar und begehbar gemacht. Erhalten blieb die Vorburg, der sogenannte Dansker. Ein Dansker (auch Danzker) ist eine Toilettenanlage einer Burg, die es in fast allen Ordensburgen des Deutschen Ordens gegeben hat und die in einem Turm sinnvollerweise über einem fließenden Gewässer untergebracht ist. Der Turm ist durch eine Brücke, auf der sich ein geschlossener oder überdachter Gang befindet, mit der Burg verbunden. Ich schaue mich in der Anlage um und gehe insbesondere auch durch die freigelegten Kellerräume. Besonders spannend finde ich die ausgestellten Gegenstände schon deshalb nicht, weil ich die Erläuterungen nicht lesen kann. Sehr anschaulich ist freilich das Modell der Burg. Es zeigt, dass die Burg ursprünglich einem Hufeisen ähnelte und damit eine frühe Bauart von Ordensburgen repräsentierte , bevor die später typische Viereckform zum Standard wurde. Die Burg verfügte bereits über einen Burggraben und einen achteckigen Turm.

Nach dem Besuch der Burgruine wende ich mich noch der Neustadt zu. Es sind wirklich keine Entfernungen, die man hier zurücklegen muss. Nach etwa 300 Metern steht man schon auf dem Marktplatz der Neustadt. Die Neustadt macht einen etwas bescheideneren Eindruck als prachtvolle Altstadt. Sie war auch nicht Sitz der Patrizierfamilien, sondern der Handwerker wie Gerber, Tuchmacher und Gerber-Zünfte. Die Neustadt entstand ab 1264 infolge der raschen Entwicklung der Altstadt und sicher auch, weil die Patrizierfamilien ungern in Ihrer Nachbarschaft Gerber- und andere Handwerksbetriebe haben wollten. Insofern kann man kaum von einer Neustadt sprechen, denn sie ist nur wenig jünger als die Altstadt und ebenso von den damaligen Schutzanlagen umgeben. Überraschend steht man vor einer großen Kirche mitten auf dem Platz. Das erstaunt! Normalerweise erwartet man hier in Polen eher das Rathaus. Bei der Kirche auf dem Marktplatz der Neustadt handelt es sich um eine ehemalige evangelische Kirche, die in ihrem heutigen Erscheinungsbild 1824 im neoromanischen Stil gebaut wurde. Heute beherbergt sie eine Kunststiftung. Das Gebäude wurde auf den Grundmauern des Anfang des 14. Jhdt. errichteten Neustädter Rathauses erbaut. Das Neustädter Rathaus verlor jedoch seine Bedeutung nach dem Zusammenschluss der beiden Stadtteile 1454, also nachdem man den Deutschen Orden vertrieben hatte.

Schräg gegenüber, an der westlichen Ecke des Marktplatzes steht man vor der „Perle der Neustadt“, der St. Jakobuskirche. Die Kirche wurde bereits in der ersten Hälfte des 14. Jhdt. gebaut und zählt wohl zu den wertvollsten und interessantesten Architekturbauten in Thorn. Von den anderen gotischen Kirchen in Thorn unterscheidet sie sich durch die wohl selten in Polen verwendete Konstruktion, die die Last der Gewölbe des Mittelschiffs mit Hilfe der Widerstandsbögen auf die Seitenschiffe verlagert. Der recht ungewöhnliche und originelle Charakter der Kirche kommt darüber hinaus im Reichtum der Verzierungen, den Formen der Details und der Verwendung von verschiedenfarbigen Ziegeln zum Ausdruck. Natürlich will ich mir die Kirche auch von innen anschauen. Zur Kirche gelangt man vom Markt aus durch ein gotisches Tor mit einem Pfeiler auf der die Figur des Heiligen Jakobus steht.

Wie in so vielen Kirchen Polens müsste man hier eigentlich Stunden verbringen, um alles zu erfassen. Auch die St. Jakobus Kirche ist eine prachtvolle Kunstsammlung, in der Wandmalereien aus der zweiten Hälfte des 14. Jhdt., gotische Kreuze und Skulpturen, ein barocker Hauptaltar und eine barocke Kanzel und zahlreiche kleinere Altäre und Grabmale aus den verschiedensten Epochen und schließlich die manieristische Orgel aus dem Jahr 1611 zu sehen sind. Nach dem Durchgang bin ich sehr beeindruckt und auch ich empfinde diese Kirche als architektonisch und künstlerische Perle nicht nur der Neustadt.

Nach dem Besuch bei St. Jakobus kehre ich mit einer halben Runde durch die Neustadt in die Altstadt zurück zur letzten Station meines Besuches in Torun, dem Kopernikus Haus. Das Haus des Kopernikus beeindruckt mich nun allerdings, mit Ausnahme der prachtvollen Fassade mit ihren farbigen Verzierungen, weit weniger. Es handelt sich ja um zwei Bürgerhäuser, die auch von innen ein typisches Haus eines Kaufmanns in einer mittelalterlichen Hansestadt darstellen sollen. Im größeren Haus hat man eine typische Raumaufteilung und Innenausstattung eines Bürgerhauses eingerichtet, die die Lebensverhältnisse in der Jugend von Nikolaus Kopernikus darstellen sollen. Im kleineren Haus gibt es dagegen eine sechsteilige Ausstellung, die nur Nikolaus Kopernikus gewidmet ist.

Mir reicht es für heute, was Besichtigungen betrifft. Da ich mir noch einmal den Sonnenuntergang über der Weichsel anschauen möchte, zieht es mich nun in mein Hotel, auch um mich etwas auszuruhen. Bis zur Pilsudski-Brücke gehe ich aber noch kreuz und quer durch die Altstadtgassen u.a. vorbei am Caesarsbogen, einem barocken Speicher und dem Schiefen Turm. In meinem Motel ruhe ich mich etwas aus. Dann geht es noch einmal zurück in die Stadt. Der Sonnenuntergang über der Weichsel ist heute, weil ich etwas später dran bin, wirklich phantastisch. Wie ein glühendes Ufo schwebt die Sonne über der Weichsel. Ich lasse mir es wieder in der Pirogarnia Stary Torun schmecken. Danach schlendere ich noch durch die nun immer noch sehr belebten Straßen und Gassen der Altstadt, merke aber dass ich immer müder wäre und mache mich deshalb bald auf den Heimweg. Schade, dass es mit dem zweiten Tag für Thorn nicht geklappt hat. Man könnte hier auch mehrere Tage verbringen.

Tagesstrecke: 17 Km zu Fuß

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