Tagesstrecke: ca. 20 Km zu Fuß

Spaziergang zur Universität und zum Kleinen Aufständischen. 

Nach dem Frühstück wandere ich noch einmal in die Altstadt. Wegen der einbrechenden Dunkelheit habe ich gestern doch einige Dinge auf der Flaniermeile ausgelassen, die ich mir noch hatte anschauen wollen. Schließlich möchte ich noch einem Denkmal einen Besuch abstatten, dass ich gestern schlicht vergessen hatte: Das Denkmal des Kleinen Aufständischen. Zunächst komme ich am Denkmal für die Solidarnocz vorbei. Es hat etwas gedauert, bis ich auf Informationen zu diesem Denkmal stoße. Das hat wohl auch seinen Grund, dass das Denkmal ganz neu ist und erst vor wenigen Monaten eingeweiht wurde. In der Rede des Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski wurden auch kritische Zwischentöne zur gegenwärtigen Politik in Polen laut: „Die Solidarnosc, dieser legendäre Aufstand, der heute so missverstanden und schlecht repräsentiert wird, war einer der schönsten Momente in der Geschichte der polnischen Nation.“ Eine Recherche in polnischen Medien ergab, dass an der Enthüllung des Denkmals auch die Führerin der belarussischen Opposition Swetlana Tichanowskaja teilgenommen hat. Sie führte dazu aus: „Die Solidaritätsbewegung in Polen führte zum Sieg der Demokratie. Belarus wird von einer anderen Diktatur regiert. Aber wir ergreifen alle Maßnahmen, um sicherzustellen, dass unsere Nation auch demokratische Entscheidungen trifft.“  Man weiß nicht wie man es interpretieren soll. Aber auch dieses Denkmal symbolisiert die ambivalente Verknüpfung der polnisch deutschen Geschichte. So ist das Denkmal ein Fragment der Berliner Mauer, das durch die Inschrift „Solidarność“ verbunden ist.

Dann gehe ich weiter zur Warschauer Universität, ein recht großes Areal in der zweiten Reihe des Krakowskie Przedmiescie, des Königswegs, von dem es nur den Hauptzugang gibt. Die Universität Warschau ist eine staatliche Universität und mit knapp 50.000 Studenten die größte Hochschule in Polen. Am 19. November 1816 gründete der russische Zar und polnische König Alexander Romanow auf Initiative von Stanisław Kostka Potocki und Stanisław Staszic die Universität als Königliche Warschauer Universität mit Fakultäten für Recht und Verwaltung, Medizin, Philosophie, Theologie sowie Musik (letztere war 1826 bis 1829 Studienort für Fryderyk Chopin). Stanisław Kostka Potocki war ein polnischer Adliger, Politiker, General, Abgeordneter, Aufklärer, Freimaurer, Schriftsteller, Mäzen, Architekt, Künstler, Archäologe, Kunsttheoretiker, Kunstsammler und Absolvent des Collegium Nobilium in Warschau. Stanisław Staszic war ein polnischer Schriftsteller, Publizist, Politiker und Priester. Außerdem war er einer der wichtigsten Vertreter der polnischen Aufklärung.

Die Universitätsgebäude wurden auf dem Gelände der früheren Ritterakademie und dem Schlossplatz des Kazimierz-Palastes errichtet. 1831 wurde die Universität nach dem Scheitern des Novemberaufstandes geschlossen, 1857 unter dem Namen Medizinisch-Chirurgische Akademie teilweise wiedereröffnet. 1862 wurden schließlich neue Fakultäten für Recht und Verwaltung, Philosophie und Geschichte sowie Mathematik und Physik eröffnet. Nach der Erweiterung um jene Fakultäten erhielt die Akademie den Namen Szkoła Główna (dt. Hauptschule), Rektor der Hochschule wurde Józef Mianowski. 1863 wurde die Hochschule erneut geschlossen, nachdem der Januaraufstand gescheitert war. Die Wiedereröffnung der Hochschule erfolgte 1870 als Kaiserliche Universität Warschau mit Russisch als Unterrichtssprache. Die noch junge Universität hatte also schon in ihrem ersten Jahrhundert eine bewegte Geschichte.

Dies setzte sich auch im 20 Jhdt. fort. 1915 erfolgte während des Ersten Weltkrieges die erneute Wiedergründung unter deutscher Militärverwaltung und Leitung von Gouverneur Hans von Beseler als Universität Warschau mit Polnisch als Unterrichtssprache. 1935 bis 1939 trug die Hochschule den Namen Józef-Piłsudski-Universität Warschau im Gedenken an den polnischen Marschall Józef Piłsudski. 1939 bis 1944, während der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg, nannte sich die nun im polnischen Untergrundstaat agierende Hochschule Geheime Universität Warschau. 1945 erhielt die Hochschule ihren heutigen Namen Universität Warschau zurück. 1968 kam es an der Universität zu Studentenprotesten, auf die im ganzen Land die Märzunruhen folgten. 1980 bis 1989 waren Studentenbewegungen an der Universität ein wesentlicher Faktor der politischen Veränderungen im Polen der Vorwendezeit. Offensichtlich war die Universität Warschau neben ihrem Bildungsauftrag immer ein Impulsgeber und Treiber für nationale Veränderungen.

Ich wandere ein wenig über den Campus. Das Rektorat der Universität hat seinen Sitz im alten Kazimierz-Palast. Sehr zentral steht das Gebäude der alten Universitätsbibliothek auf dem Schlossplatz des Kazimierz-Palastes. Sie wurde Ende des 19. Jahrhunderts im Stil der Neorenaissance errichtet. Auch diese Bibliothek blieb vor den historischen Auseinandersetzungen nicht verschont. Bereits 1831 nach dem Novemberaufstand wurde die Bibliothek von den russischen Soldaten geplündert und zirka 90.000 Werke nach Sankt Petersburg gebracht. Bei der Evakuierung Warschaus durch die russische Armee 1915 nahm diese einen großen Teil des Inventars, des Archivs und des Bücherbestandes mit. 1939 plünderte die deutsche Wehrmacht das Zeichnungskabinett und verbrannte 1944 rund 4.000 Handschriften aus acht Jahrhunderten. Während der deutschen Besatzung nahm die Bibliothek am verbotenen „fliegenden“ Untergrunduniversitätsbetrieb teil. 1999 zog die Bibliothek in das moderne Gebäude der Neuen Universitätsbibliothek im Stadtteil Powiśle um.

Nun geht es wieder zurück auf den Königsweg. Schräg gegenüber vom Eingang zur Universität steht die Heilig-Kreuz-Kirche. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erhielt sie ihren reifen Barockstil. 1814 wurde Józef Antoni Poniatowski in der Kirche bestattet, nachdem sein Leichnam von Leipzig nach Warschau gebracht wurde und bevor er 1817 in die Wawel-Kathedrale nach Krakau überführt wurde. Er hat also auch nach seinem Tod ein ziemlich bewegtes Schicksal gehabt. Das Herz Frédéric Chopins wurde ebenfalls in der Kirche bestattet. Die Kirche brannte bereits in den ersten Kriegstagen des Zweiten Weltkriegs nach dem Bombardement durch die  deutsche Luftwaffe aus und wurde während des Warschauer Aufstands von der Wehrmacht am 6. September 1944 in die Luft gesprengt. Der Wiederaufbau erfolgte in den Jahren 1945 bis 1953. Da es Sonntag und gerade Gottesdienst ist, muss ich auf den Besuch der Kirche leider verzichten.

Ich schlendere nun noch einmal die Flaniermeile des Königswegs entlang zur Altstadt. Am Schloss gehe ich dann die alte Stadtmauer entlang. Hier gibt es zahlreiche Denkmäler unter anderen auch das Denkmal für die Opfer von Katyn. Das Denkmal erinnert an die Ermordung von etwa 25.000 polnischen Zivilisten, Polizei- und Militärangehörigen in Katyń, die 1940 auf Befehl des sowjetischen Diktators Stalin vom NKWD durchgeführt wurde. Kurz vor der Barbakane gelange ich dann zum Denkmal des „Kleinen Aufständischen“. Das Denkmal des Kleinen Aufständischen  ist ein Denkmal vor der Stadtmauer der Warschauer Altstadt, das dem Gedenken an die im Warschauer Aufstand 1944 gefallenen Kinder gewidmet ist. Die etwa 150 cm hohe Skulptur ist kurz nach dem Krieg als Studentenarbeit des Bildhauers Jerzy Jarnuszkiewicz (1919–2005) entstanden. In Wirklichkeit nahmen die Kinder wegen der Waffenknappheit nicht an den Kämpfen teil. Die Warschauer Pfadfinder wurden allerdings als Briefträger und Sanitäter eingesetzt. Trotzdem geht von dem Denkmal eine große emotionale Wirkung aus, der auch ich mich nicht verschließen kann und die mich auch schon bei meinem letzten Besuch 2011 ergriffen hatte. Das Denkmal symbolisiert noch einmal die ganze Perversität der damaligen Ereignisse. Vor diesem Hintergrund ist auch nachvollziehbar, dass eine Miniatur der Skulptur bei vielen polnischen Familien als Symbol für gefallene Familienmitglieder verehrt wurde. Die Skulptur selbst wurde aber erst am 1. Oktober 1983 hier öffentlich aufgestellt und enthüllt.

 

Spaziergang in der zweiten Reihe des Königswegs

Ich gehe zurück zum Schlossplatz und biege dort ab in die Senatorska. Kurze Zeit später stehe ich vor dem prachtvollen Hotel Bellotto, dessen Namensgeber wohl Bernardo Bellotto (1722 – 1780) war, den wir eher unter seinem Künstlernamen Canaletto kennen. Er war ein venezianischer Maler, der für seine realistischen Veduten europäischer Städte, neben italienischen Städten vor allem Dresden, Wien und Warschau, bekannt ist. Nach dem Tod Augusts des Starken, der in sehr gefördert hatte, verlor er in Dresden an Ansehen, ließ sich nach einer europäischen Odyssee ab 1760 in Warschau nieder und verblieb bis zu seinem Tode 1780 am Hofe des neuen und letzten polnischen Königs, Stanisław II. August (Stanisław Antoni Poniatowski). Dessen Geschmack war noch barock geprägt und er verehrte die venezianische Malerei. Seine bedeutendste Nachwirkung hatte Bellotto für Warschau nach dem Zweiten Weltkrieg. Es waren Bellottos Warschauer Stadtansichten, nach denen  große Teile der Warschauer Altstadt rekonstruiert wurden. Das 5-Sterne-Hotel Bellotto ist das Gebäude des ehemaligen Primas-Palastes aus dem 16. Jahrhundert.  Dieser Palast wurde auf Anregung des Bischofs von Płock eingerichtet und seit 1795 diente er als der Sitz des jeweiligen Primas von Polen.

Einige Meter weiter stehe ich dann vor dem monströsen Teatr Wielki (deutsch Großes Theater) ist das größte Theater in Warschau. Es beherbergt die Nationaloper und das Nationaltheater Polens. Schon die Fassade des Theaters ist so lang, dass sie nur als Panoramafoto aufgenommen werden kann. Das Teatr Wielki wurde in den Jahren 1825–1833 nach Plänen des italienischen Architekten Antonio Corazzi errichtet und sollte ursprünglich den Namen ‚Nationaltheater‘ (Teatr Narodowy) erhalten. Nach der Niederschlagung des Novemberaufstands von 1830 musste auf diesen Namen zugunsten des noch heute gebräuchlichen verzichtet werden. Das Haus wurde am 24. Februar 1833 mit einer Aufführung von Rossinis Il barbiere di Siviglia eingeweiht. Das Gebäude wurde von der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs bis auf Reste der Fassade zerstört. Für den Neubau der Nationaloper wurde 1951 ein Wettbewerb ausgelobt und anschließend ein Neubau errichtet, der am 19. November 1965 eingeweiht wurde. Dabei wurden der neue Zuschauerraum und die Bühne für die Oper hinter das ursprüngliche Gebäude gelegt, was Platz für eine gigantische Bühne mit 50 m Höhe und 54 m Bühnentiefe ermöglichte. Dies soll die größte Bühne Europas sein.

Am Ende der Senatorska komme ich zu einem Park mit dem Namen Ogrod Saski. Ich brauche einige Zeit bis ich den Namen des Parks verstehe. Es ist der Sächsische Garten, ein Park, der um die Wende zum 18. Jahrhundert errichtet wurde und Teil der sogenannten Sächsischen Achse ist. Die Sächsische Achse (polnisch Oś Saska) ist eine teilweise noch bestehende barocke städtebauliche Anlage in Warschau vom Beginn des 18. Jahrhunderts, die in Ost-West-Richtung verläuft. Sie wurde von dem polnischen König August II., den wir eher unter dem Namen August der Starke als sächsischen Kurfürsten kennen, um 1700 – während der Sachsenzeit – errichtet. Die Sächsische Achse verläuft quer zu einer anderen Achse, dem älteren Warschauer Königsweg, der mit der Krakauer Vorstadt beginnend von Norden nach Süden führt.

Der Garten, der in den Jahren 1713 und 1733 im Barockstil angelegt wurde, schloss sich westlich an das im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstörte Sächsische Palais an. Sein südwestlicher Rand schließt an das Grabmal des unbekannten Soldaten an, das in den 1920er Jahren in den Arkaden des Palais eingerichtet worden war. Im Jahr 1727 ließ der König den Garten zur Benutzung durch die Bevölkerung freigeben, was erstmals in Polen geschah. Im 19. Jahrhundert wurde der Garten in einen Englischen Landschaftspark umgestaltet. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ein Teich angelegt, ein Wasserspeicher in Form des Vestatempels und ein großer Springbrunnen errichtet. Im Park sind 21 allegorischen Sandstein-Skulpturen aufgestellt, die größtenteils in der Werkstatt des im 19. Jhdt. bedeutenden Warschauer Bildhauers Johann Georg Plersch entstanden. Sie zeigen die vier Jahreszeiten, die Wissenschaften und die Künste.

Ich gehe einige Zeit durch den Park spazieren bis ich zu dem Teich, dem Springbrunnen und den Sandstein-Skulpturen gelange. Dann sehe ich auch das Grabmal des unbekannten Soldaten, dass tatsächlich in einem Fragment der Säulenfassade des ehemaligen Sächsischen Palais verblieben ist. Es sind lediglich drei Arkadenbögen aus der seinerzeit zweistöckigen Säulenfassade, die noch erhalten sind. Als ich merke, dass immer mehr Menschen zum Grabmal ziehen, lasse ich mich mittreiben und erlebe so auch die Wachablösung um 12 Uhr. Vor dem Grabmal erstreckt sich der große Piłsudski-Platz. Auf dem Platz steht auch ein Denkmal seines Namensgebers. Józef Klemens Piłsudski (1867 – 1935) war ein polnischer Militär, Politiker und Staatsmann. Er kämpfte gegen die russische Herrschaft in Polen und war später Marschall der Zweiten Polnischen Republik. Er ist in Polen noch heute sehr populär und beliebt, obwohl er das Land von 1926 bis zu seinem Tod 1935 autoritär regierte, um es zurückhaltend auszudrücken. Das zeigt einmal mehr, dass doch viele Polen, trotz ihres Bestrebens nach Freiheit und Unabhängigkeit eine häufige Neigung zu eher autoritären Regierungsformen haben, die sich bis in die Gegenwart hinein erhalten hat.

Da mein nächstes Ziel das königliche Lazienki-Palais ist, das doch einen längeren Fußmarsch erfordern würde, entschließe ich mich nun auch mal die Warschauer U-Bahn zu nutzen. Bei der Orientierung helfen mir zwei Warschauer Polizisten, die ich anspreche als ich nicht weiter weiß. Sie nehmen mich auf einem nicht offiziellen Weg mit zum Bahnsteig, wo ich aber ihnen versuche deutlich zu machen, dass ich noch keinen Fahrschein habe. Also schicken sie mich wieder nach oben zurück. Inzwischen habe ich aber das Prinzip durchschaut, versorge mich mit einer Fahrkarte und gehe nun auf dem offiziellen Weg zurück zum Bahnsteig. Die Fahrt verläuft problemlos. Ich schaffe es sogar ohne Verzögerung einmal umzusteigen und komme ohne Probleme am Ziel, der Station Politechnica an. Von hier ist es dann aber immer noch etwa 1,5 Kilometer bis zum Lazienki Park.

 

Rund um das Lazienki-Palais

Der Łazienki-Park (deutsch: Park der Bäder) ist eine weitläufige und mit 80 ha die größte Parkanlage in Warschau. Die Gartenanlage wurde im 17. Jahrhundert von Tylman van Gameren im Stil des Barocks für den Eigentümer von Ujazdów Stanisław Lubomirski errichtet, einem der reichsten polnischen Magnaten. Im Jahr seiner Wahl zum polnischen König 1764 erwarb Stanisław August Poniatowski den Schlossgarten. Die Anlage des neuen klassizistischen Gartens wurde zum Lebenswerk von Stanisław II. August. Meine ersten Stationen im Park sind das Belvedere mit einem weiteren davor stehenden Pilsudski-Denkmal und das Chopin-Denkmal.

Der Belvedere-Palast (poln. Belweder) von 1660 befindet sich auf einem Hügel am westlichen Rand des Parks. Es wurde im klassizistischen Stil nach 1767 umgebaut. Von 1817 bis 1830 diente es als Privatpalast des russischen Statthalters Großfürst Konstantin Pawlowitsch Romanow, dem Bruder des Zaren. Die Aufständischen des Novemberaufstandes stürmten es am Abend des 29. November 1830 von der ebenfalls im Łazienki-Park gelegenen Fähnrichschule kommend. Zwar gelang es Konstantin Romanow zu fliehen, doch damit wurde der über ein Jahr dauernde Aufstand ausgelöst. Der Palast wurde zum Vorbild vieler polnischer Kleinadelspalais. In der Zwischenkriegszeit sowie von 1989 bis 1994 diente es dem polnischen Staatspräsidenten als Amtssitz. Von 1918-1922 und dann wieder von 1926 bis zu seinem Tod im Jahre 1935 residierte hier auch Jozef Pilsudski als Staatspräsident, zunächst de jure und später de facto. Die nächsten Jahre waren von der wachsenden Korruption, Ämterstreitigkeiten unter den häufig wechselnden, instabilen Regierungen und wirtschaftlichen Krisen geprägt. Im Mai entschlossen sich die Anhänger Piłsudskis im Militär zu einem Staatsstreich. Dabei zwang Pilsudski an der Spitze ihm ergebener Regimenter den Staatspräsidenten und das Kabinett Witos zum Rücktritt. Piłsudski wurde erneut von der Nationalversammlung zum Staatsoberhaupt gewählt, verzichtete aber auf die weitere Präsidentschaft und überließ das Amt seinem treuen Kandidaten Ignacy Mościcki. In der Folge beherrschte Piłsudski das Land in wechselnden Funktionen, unter anderem als Verteidigungsminister und zog dennoch wieder im Sitz des Staatspräsidenten ein. Piłsudski Popularität rührt wohl vor allem daher, dass er im Ersten Weltkrieg die Polnischen Legionen in Österreich-Ungarn aufstellte, die Garanten für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit waren. Im Polnisch-Sowjetischen Krieg gelang es ihm, die Rote Armee 1920 an der Weichsel aufzuhalten und zurückzuschlagen (das sog. Wunder an der Weichsel). Dass die Popularität Pilsudskis noch bis heute anhält erkennt man auch daran, dass das Denkmal vor dem Belvedere erst aus dem Jahre 1998 stammt.

Unweit vom Belvedere gelange ich auch zum Denkmal für Fryderyk Chopin. Es wurde zu Ehren des in der Nähe Warschaus geborenen Komponisten und Pianisten 1908 von Wacław Szymanowski geschaffen der durch dieses Denkmal Weltruhm erlangte. Das monumentale Jugendstildenkmal wurde jedoch erst 1926 aufgestellt. Es stellt Chopin unter einer vom Wind gebeugten masowischen Weide dar. Das Denkmal wurde bereits zu Beginn der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zerstört und eingeschmolzen. 1958 wurde es wieder rekonstruiert. Heute finden unter dem Denkmal um den Chopin-See sonntags häufig Klavierkonzerte statt, die für alle Besucher des Łazienki-Parks zugänglich sind.

Nach einer längeren Aufenthalt an dem Denkmal wandere ich in den Park hinein. Das erste von den zahlreichen Schlösschen im Park ist das sogenannte Weiße Haus. Es wurde 1774 bis 1776 erbaut und war für die Geliebte von König Stanislaus II. August Elżbieta Grabowska bestimmt. Es war eines der ersten Gebäude, das im Łazienki-Park vollendet wurde. Das Weiße Haus hat eine quadratische Grundfläche. Während seines Exils lebte hier Ludwig XVIII. Obwohl das Weiße Haus nach dem Warschauer Aufstand von der deutschen Wehrmacht teilweise niedergebrannt wurde, blieb es eines der besterhaltenen Gebäude im Łazienki-Park. Das Innere soll zum großen Teil im Originalzustand der Zeit Stanislaus August Poniatowski erhalten geblieben sein.

Das wichtigste Gebäude im Park ist der  Łazienki-Palast, der auch Palast auf dem Wasser oder Palast auf der Insel genannt wird. Von 1772 bis 1793 wurde das Schloss für Stanislaus August Poniatowski umgebaut, der es zu seiner Residenz machte. Das Schloss befindet sich auf einer künstlichen Insel auf dem Łazienki-See, die durch zwei Arkadenbrücken mit dem Festland verbunden ist. Ich wandere um den künstlichen See herum, um das Schloss von allen Seiten anschauen zu können. Auf dem Inselplateau vor dem Schloss stehen mehrere erotisch anmutende Skulpturen, die deutlich machen, welche Vorlieben der letzte polnische König so pflegte.

Das Denkmal für Johann III. Sobieski wurde am 1788 zum 105. Jahrestag des Entsatzes von Wien, bei dem er die Türken zum Rückzug zwang, auf der Brücke (Agricola) über den nördlichen Łazienki-See, auf Betreiben König Stanislaus Augusts aufgestellt. König Jan III. Sobieski wird zu Pferd dargestellt, unter dem sich ein besiegter Osmane befindet. Am 29. November 1830 versammelten sich unter dem Denkmal die Aufständischen von der Fähnrichschule, bevor sie das Belvedere stürmten, um den russischen Statthalter zu vertreiben.

Auf meinem weiteren Weg durch den Park komme ich noch an dem  frühklassizistische Myślewicki-Palast vorbei. Der Palast wurde in Auftrag König Stanislaus Augusts von 1775 bis 1779 in drei Phasen errichtet. Das zunächst auf einen quadratischen Grundriss errichtete Gebäude wurde um zwei Rundflügel ergänzt. Im Inneren sollen die Originaldekoration des Esssaals mit Ansichten von Rom und Venedig sowie das vom Maler Jan Bogumił Plersch gestaltete Bad erhalten geblieben sein. Ursprünglich für Angehörige des Königshofes vorgesehen, ging es später an Józef Poniatowski über, also dem mit dem Denkmal vor dem Präsidentenpalast, der als französischer Marschall 1813 in den Fluten der Weißen Elster ertrank. Auf dem weiteren Rückweg komme ich noch durch den Ujazdowski-Park. Hier werfe ich noch aus der Ferne einen Blick auf das Schloss Ujadow, was auch auf eine höchst wechselvolle Geschichte zurückblicken kann. Das Jagdschloss wurde von König Zygmunt II. zu einem Königsschloss erweitert, in dem seine Mutter Königin Bona Sforza nach dem Tod ihres Gemahls Zygmunt I. zeitweise wohnte. Von 1620 bis 1624 ließ Zygmunt III. das Schloss von Matteo Castello zu einer barocken Festung mit einem quadratischen Innenhof ausbauen. 1683 erwarb Kronmarschall Lubomirski das Schloss und ließ es umgestalten. Der letzte polnische König Stanisław August Poniatowski erwarb 1764 das Schloss und übereignete das Gelände 1784 der Stadt Warschau, das Schloss und seine Nebenanlagen dienten zunächst als Kaserne und in den folgenden fast 150 Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg als Militärkrankenhaus. Es wurde während der deutschen Besetzung Polens von der Wehrmacht in Brand gesetzt und dabei zu 40 % zerstört. Nach dem Krieg wurde es nicht wiederaufgebaut, sondern seine Überreste 1954 auf Befehl des damaligen Marschalls Rokossowski abgetragen. An dessen Stelle sollte das Theater der Polnischen Armee entstehen. Erst 1975 wurde es im ursprünglichen, frühbarocken Stil rekonstruiert.

Mit diesem Blick endet meine heutige Wanderung durch Warschau. Beeindruckt bin ich von der großen Zahl an mehr oder weniger prunkvollen Palästen. Sie sind wohl auch Ergebnis des gesellschaftlichen Machtgefüges in Polen-Litauen vor den polnischen Teilungen. Hier gab es eine größere Zahl von Magnaten, die auch durch ihre Machtposition in Sejm in Macht und Prunk wenig den jeweils herrschenden Königen nachstanden. Sie haben aber mit ihrer Macht auch viele der jeweils gewählten Könige gelähmt, so dass die Zentralmacht nicht sonderlich stark war. Das haben sich die absolutistisch regierten Nachbarn dann Ende des 18. Jhdt. zu Nutze gemacht und diesen großen mitteleuropäischen Staat unter sich aufgeteilt, so dass er für über ein Jahrhundert von der Landkarte verschwand.

Mein Abendessen nehme ich noch einmal in der Ave!! Pizzeria ein. Morgen geht es dann weiter.

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