14. Tag: 03.04.2017 Nierstein – Mannheim

Wieder ein sehr schöner Tag, um über Land zu radeln. Von Nierstein ging es zunächst durch die Weinberge, die sich südlich von Mainz bis nach Worms erstrecken, also auf einer Länge von 60 km mehr oder weniger nah den Rhein entlang. Oppenheim, nur wenige Kilometer nach Nierstein, ist anscheinend der Hauptort des rheinhessischen Weingebiets. Mich zieht es nah Worms, weil ich dort noch nie gewesen bin. Es geht zwar ziemlich nah am Rhein entlang, doch sehen tut man ihn selten. Meistens verläuft der Fahrradweg hinter dem Deich und verhindert so die Aussicht auf den Fluss. Kurz vor Worms liegt dann auf der gegenüberliegenden hessischen Rheinseite das Atomkraftwerk Biblis, dass in den Jahren der Anti-AKW-Bewegung eine hohe Symbolkraft hatte. Auch Joschka Fischer wurde hier schon weggetragen, bevor er Umweltminister in Hessen und später Außenminister der Bundesrepublik Deutschland wurde.
Auf den ersten Blick bin ich von Worms enttäuscht. Die Stadt scheint mir das Schicksal so vieler westdeutscher Städte zu teilen, indem beim Wiederaufbau nach 1945 die historischen Strukturen dem Bedürfnis nach schneller Schaffung von Wohn- und Nutzraum zum Opfer gefallen sind. Es dominiert die Architektur der 50er, 60er und 70er Jahre. Ich nehme mir für Worm eine Stunde. Mit dem Fahrrad gehen Stadtrundgänge natürlich etwas schneller. Bei der Einfahrt nach Worms passiere ich zunächst die Liebfrauenkirche. Sie ist besonders deshalb bekannt, weil sie inmitten von (ehemaligen) Weingärten steht, wo der berühmt berüchtigte Wein „Liebfrauenmilch“ herkommt. Sein einstmals guter Ruf, auch Charles Dickens soll ein Endverbraucher gewesen sein, hat auf jeden Fall durch seine Entwicklung zum preisgünstigen und lieblichen Supermarktwein gelitten.
Ansonsten sind Ziele meines Ausflugs in Worms natürlich der Kaiserdom St. Peter und auch das beeindruckende Lutherdenkmal. Der Kaiserdom gilt als der kleinste der drei rheinland-pfälzischen Dome und ist steiler und schlanker konzipiert und etwa 100 Jahre jünger als die Dome in Mainz und Speyer. Er wurde 1130 bis 1181 erbaut. Ich mache einen Rundgang und schaue kurz hinein. Anschließend radele ich zum Lutherdenkmal. Da ich von ihm bisher noch nichts gehört hatte, bin ich doch erstaunt über die Dimensionen. Es ist wohl tatsächlich das weltweit größte Lutherdenkmal und neben dem internationalen Reformationsdenkmal in Genf auch weltweit das größte Reformationsdenkmal. Es wurde 1868 enthüllt. Der Gesamtentwurf stammt von Ernst Rietschel, einem der bedeutendsten deutschen Bildhauer des Spätklassizismus, der beispielsweise auch das uns bekanntere Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar geschaffen hat. Das Denkmal ist eine Demonstration für die Reformation und ist natürlich durch Luthers Verteidigung seiner Thesen vor dem Kaiser Karl V. auf dem Reichstag in Worms 1521 begründet.
Von Worms geht es weiter nach Süden. Inzwischen habe ich mich für das heutige Ziel Mannheim entschieden. Auch hier war ich bisher noch nicht. Da ich auf der linken Rheinseite radele, fahre ich zunächst nach Ludwigshafen, wo mich schon von Ferne das BASF-Werk grüßt und es über viele Kilometer markantester Orientierungspunkt bleibt. Im Grunde genommen habe ich den Eindruck, Ludwigshafen bestehe nur aus BASF. Das ist natürlich nicht richtig, ganz falsch ist es aber auch nicht. Mindestens acht Kilometer fahre ich entlang der Werksanlagen. Dann geht es über den Rhein nach Mannheim. Mannheim ist sozusagen der äußerste nordöstliche Zipfel von Baden-Württemberg und die drittgrößte Stadt des Ländles. Wenn man über den Rhein fährt, passiert man erst einmal den Containerhafen, der als einer der bedeutendsten Binnenhäfen Europas gilt.
Auch sonst wirbt Mannheim mit einigen prägnanten Einzigartigkeiten. So baute Karl Drais hier 1817 das erste Zweirad. Also das Fahrrad hat dieses Jahr 200. Jubiläum. Für mich natürlich besonders interessant. Aber es gab noch mehr. !880 hat hier Werner von Siemens den ersten elektrischen Aufzug vorgestellt. 1886 rollte hier das erste Automobil von Carl Benz über die Straßen. Und auch noch einige andere wegweisende Erfindungen könnten hier genannt werden. Ich quartiere mich heute in der hiesigen Jugendherberge ein, weil sonst alle Gasthäuser und Hotels jenseits meines Budgets liegen.
Auslöser meiner Entscheidung heute bis Mannheim, zu fahren, war ein Foto des Mannheimer Schlosses. Es gilt nach Versailles als das zweitgrößte Schloss Europas mit einer Frontlänge von 440 Metern. Das wusste ich bis heute Nachmittag aber auch noch nicht. Es wurde unter der Regentschaft der Kurfürsten Karl Philipp und Karl Theodor in drei Bauperioden zwischen 1720 und 1760 erbaut und war Residenz der Kurfürsten von der Pfalz von 1720 bis 1777. 1777 wurde es schon bayerisch und verlor dadurch seine Residenzberechtigung. Wenn man bedenkt, was dieses Schloss eines kleinen unbedeutenden Duodezfürsten seinen Untertanen abverlangt haben muss, dann packt einen schon das Entsetzen. Das Schloss wurde übrigens im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört. Der Wiederaufbau erschien utopisch. Und dennoch: Der Wiederaufbau wurde nach 1945 phasenweise eingeleitet und 2007 abgeschlossen.
Ich mache noch eine längere Fahrradtour durch die Stadt und besichtige den ehemaligen Paradeplatz, den Wasserturm mit einem sehenswerten im Jugendstil angelegten Platz und das Alte Rathaus. Danach lasse ich diesen eindrucksvollen Tag bei einem Italiener unweit der Jugendherberge ausklingen.

Tagesdaten: 83,04 km/6:33.51 Std. Fz/12,65 km/h/169 Hm aufwärts/156 Hm abwärts

2 Kommentare

  • Heidrun R-K sagt:

    Dass Mannheim eine schöne Stadt ist, war mir bisher noch nicht bekannt und von einem Schloss hatte ich noch nie gehört. Ich habe dazugelernt! Der Name Xavier Naidoo muss – so finde ich – im Zusammenhang mit Mannheim unbedingt noch erwähnt werden.

  • Regina Sakowitz sagt:

    In Mannheim war ich auch schon einige Male, auch im Schloss zu einer Besichtigung. Beeindruckend in Mannheim fand ich die quadratische Einteilung der Innenstadt. Es gibt praktisch keine Straßennamen sondern „Quadrat-Adressen“, also z. B. P3-R5 – das hat mein Navi total durcheinander gebracht.
    Empfehlenswert ist in Mannheim auch der Luisenpark, aber da war sicher nicht so viel Zeit zur Verfügung.
    Ich wünsche weiterhin gute Fahrt mit viel Wind im Rücken und Sonne im Herzen.

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