13. Tag (20. September 2021): Von Jozefow nad Wisla nach Kazimierz Dolny

Nach dem Frühstück geht es weiter. Noch immer ist es recht kühl und der Himmel ist wolkenverhangen. Es bleibt trüb und grau. Allerdings hat der Regen nachgelassen. Die Strecke ist wieder recht eintönig. Zunächst wird es hügelig und es geht durch ein größeres Waldgebiet, den sogenannten Wrzelowieci Park, einer von 120 Landschaftsschutzparks in Polen. Danach wird es wieder flach und die Wiesen und Felder werden von Obstplantagen, insbesondere Äpfeln aber auch Hopfen abgelöst. Diese Obstplantagen ziehen sich fast bis zu meinem heutigen Ziel Kazimierz Dolny. Kurz vor Kazimierz Dolny versuche ich noch einmal näher an die Weichsel heranzukommen, um einen Blick auf die am gegenüberliegenden Ufer liegende Burgruine Janowiec werfen zu können. Dies gelingt mir zwar, aber der Weg erweist sich doch als sehr schlammig und der Untergrund besteht aus Tonerde, sodass ich erst wieder auf einer längeren Asphaltstraße fahren muss, um mein Fahrrad von einigen Pfunden Tonerde zu befreien.

Die Burg wurde erstmals im Jahre 1537 erwähnt. Sie wurde wahrscheinlich von Mikołaj Firlej zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts erbaut und von seinem Sohn Piotr (Woiwode der Woiwodschaft Ruthenien) und seinem Enkel Andrzej erweitert. Unter Andrzej baute der bedeutende Architekt Santi Gucci die Anlage 1565–1585 im Baustil der Renaissance aus. Die Burg wurde von den Schweden unter König Karl X. Gustav während der schwedischen Sintflut im Jahre 1655 zerstört. Die Schwedische Sintflut ist eine im Polnischen geläufige Bezeichnung für mehrere Invasionen durch Heere benachbarter Mächte, denen Polen-Litauen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ausgesetzt war. Hierzu zählt teilweise der Russisch-Polnische Krieg von 1654 bis 1667, vor allem aber der parallel dazu ausgetragene Polnisch-Schwedische Krieg zwischen 1655 und 1660. In diesem Zeitraum erlebte Polen-Litauen eine Vielzahl von Invasionen feindlicher Heere. Die Kampfhandlungen und die damit einhergehenden Plünderungen und Verwüstungen weiter Landstriche und Städte während der Kriege dieser „blutigen Sintflut“ hatten für Polen-Litauen ähnlich verheerende Folgen wie der Dreißigjährige Krieg für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.

Etwas verschlammt bleibt es dennoch bis ich schließlich in Kazimierz Dolny eintreffe. Das Hotel Villa Bohema, in dem ich meine heutige Übernachtung gebucht habe, ist zwar nicht ganz einfach mit meinem Navi zu finden gewesen. Als ich es dann allerdings erreiche bin ich doch positiv überrascht über den Komfort, der mich dort erwartet. Man hat auch gleich einen sicheren Platz für mein Fahrrad direkt in Sichtweit der Rezeption und man hat auch kein Problem mit dem nicht gerade vertrauenserweckenden Aussehen meines Gefährts. Das Zimmer ist zwar recht klein aber sehr wohnlich und so richte ich mich erst einmal ein, bevor ich mich auf den Weg zur Besichtigung des Ortes aufmache.

Tagesstrecke: 49,52 Km

 

Spaziergang durch Kazimierz Dolny

Die Stadt Kazimierz Dolny zählt etwa 2600 Einwohner und ist vor allem wegen ihrer historischen Altstadt ein in ganz Polen bekanntes und beliebtes touristisches Ziel. Auch heute ziehen einige Touristengruppen durch die Stadt. Die Anfänge des Ortes reichen ins 11. Jhdt. zurück. Im Jahre 1181 übertrug Herzog Kazimierz der Gerechte den Ort an die Prämonstratenser-Chorherren aus Krakau-Zwierzyniec, die ihn ihm zu Ehren in Kazimierz umbenannten. Der Beiname „Dolny“ (= Unter/Nieder) wurde später unter Bezugnahme auf die Lage an der Weichsel hinzugefügt, um Kazimierz Dolny von Kazimierz bei Krakau zu unterscheiden. 1325 stiftete König Władysław I. Ellenlang eine Kirche, die heutige Pfarrkirche. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde auch eine Burg gebaut und vermutlich von König Kasimir I. dem Großen die Stadtrechte verliehen. 1406 erfolgte unter Władysław II. Jagiełło eine weitere Stadtgründung, diesmal nach Magdeburger Recht. In jener Zeit entstand auch der Grundriss der Stadt, der sich bis heute erhalten hat, inklusive der Marktbebauung, die auf einer Seite fehlt, was dem Markt sein charakteristisches Aussehen verleiht. 1501 wurde der Ort Sitz einer Starostei. Im polnisch-litauischen Reich war Starost ein Titel für den mittleren Adel, vergleichbar einem Freiherrn, sowie auch ein Amt, entsprechend einem Landrat.  Von 1519 bis 1644 befand sich das Starostenamt im erblichen Besitz der Familie Firlej. Damals entwickelte sich der Ort zu einem wichtigen Umschlagplatz für das Weichsel abwärts verschiffte Getreide. 1628 ließen sich die Franziskaner in Kazimierz Dolny nieder und errichteten ein Kloster. Der Niedergang der Stadt setzte 1656 ein, als schwedische Truppen sie in Brand setzten und plünderten. Es folgten weitere Soldatendurchmärsche, die die Stadt verwüsteten. 1677 erließ König Johann III. Sobieski ein Dekret, das die Ansiedlung armenischer, griechischer und jüdischer Kaufleute gestattete, aber die nächsten polnisch-schwedischen Kriege machten die Aufbruchstimmung zunichte, zumal die europaweite Nachfrage nach polnischem Getreide immer stärker zurückging. Die Teilungen Polens bedeuteten dann ein endgültiges Ende des Getreidehandels. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann mit dem einsetzenden Tourismus eine Renaissance der Stadt, die nun im russischen Teilungsgebiet lag. Es entstanden Villen und Pensionate für die Sommerfrischler aus Warschau oder Lublin. Während des Zweiten Weltkriegs wurden große Teile der Stadt zerstört, der Wiederaufbau erfolgte aber rasch und Kazimierz Dolny konnte seine touristische Bedeutung noch ausbauen.

Mein Stadtrundgang führt mich zunächst an die Weichsel, wo ich mich noch einmal vom Hochwasser durch die letzten Regentage überzeugen kann. Die Zugangsbrücken zu den dort liegenden Schiffen führen nicht zu den Schiffen hinunter, sondern hinauf und der Beginn der Brücken liegt unter Wasser, so dass man ohne nasse Füße die Schiffe nicht betreten kann. Ich schätze, dass das Wasser der Weichsel rund 2 Meter höher als normal ist. Dann gehe ich zurück in die Stadt, insbesondere auf den Rynek. Auffällig an der Bebauung der Altstadt von Kazimierz sind die aus weichem örtlichen Kalkstein errichteten Bauten. Das leicht zu bearbeitende Material erlaubte eine phantasievolle Gestaltung der Fassaden, gelegentlich mit mehr oder weniger kunstvollen Flachreliefs. Die Bürgerhäuser wurden mit steilen, nach innen geneigten Dächern gedeckt, die von der Straßenseite mit extrem hohen Attiken verstellt wurden. Diese Attiken wurden oben mit steinernen reich verzierten Türmchen und einer spiral- bzw. schneckenförmigen Verzierung versehen. Die am Weichselufer errichteten Speicher hatten zwar normale Firstdächer, aber die Giebel wurden auch hier reich ornamentiert. Inzwischen sind aber viele dieser Häuser auch ohne Verzierung vorhanden, die vermutlich im Laufe der Jahrhunderte allzu schnell verwitterte und die Erneuerung zu kostenintensiv war, nachdem Kazimierz Dolny seiner früheren Einkunftsquellen beraubt worden war. Dennoch hat die Stadt ihr architektonisch eigenwilliges Gepräge erhalten und einige Häuser sind nach wie vor Schmuckstücke.

So ragen verschiedene Bürgerhäuser und Getreidespeicher aus der Renaissance und dem Barock hervor, unter denen vor allem die um das Jahr 1615 im manieristischen Stil errichteten Bürgerhäuser zum Heiligen Nikolaus und zum Heiligen Christophorus, sowie das um 1630 ebenfalls manieristisch umgebaute Celej-Patrizierhaus, in dem heute das Regionalmuseum eingerichtet ist, hervorzuheben sind. Die Przybyła-Bürgerhäuser gelten als markanteste Beispiele polnischer weltlicher Kleinstadt-Architektur der Renaissance. Sie wurden am Anfang des 16. Jahrhunderts für Gebrüder Nikolaus (Mikołaj) und Christoph (Krzysztof) Przybyła von unbekannten örtlichen Baumeistern errichtet. Sie befinden sich im südöstlichen Winkel des Marktplatzes. Es sind Wohnhäuser mit Laubengang im Erdgeschoss und je drei Fenstern im Obergeschoss. Sie wurden aus dem örtlichen Kalkstein gemauert. Die üppig geschmückten Fassaden stellen eine naive Nachahmung der Meisterwerke der italienischen und niederländischen Architektur dar. Die Fassaden sind von hohen Attiken gekrönt. Die Dachflächen hinter den Attiken sind nach innen geneigt um das Regenwasser zum Hinterhof abzuführen.

Die linke Fassade zeigt zwischen dem zweiten und dritten Fenster die Gestalt des hl. Nikolaus von Myra im Mesgewand mit Mitra und Bischofsstab. Unter dem ersten und zweiten Fenster befinden sich Tiergestalten. Über dem Hauptgesims befindet sich eine zweistöckige Attika, wobei das untere, durch neun Pilaster unterteilte Stockwerk mythologische Gestalten in ovalen Umrahmungen zeigt. Die Fassaden des Erd- und Obergeschossen sind mit rustikalem Natursteinen gefüllt.

Die rechte Fassade zeigt zwischen dem zweiten und dritten Fenster die Gestalt des hl. Christophorus mit dem Christuskind auf der Schulter, der es über den Fluss trägt. Die Attika des rechten Hauses ist eingeschossig, wird aber von einer Reihe von reich verzierten Türmchen gekrönt, einer für die polnische Renaissance-Architektur typischen Lösung. Auch hier sind die Fassaden des Erd- und Obergeschosses mit rustikalem Natursteinen gefüllt.

Noch ein ähnliches Bürgerhaus befindet sich in Kazimierz Dolny. Es handelt sich um das Celej-Haus, für Bartłomiej (Bartholomäus) Celej im 16. Jahrhundert errichtet. Es beherbergt heute das Museum des Weichselraumes.

Vom Markplatz aus sieht man eine weitere Sehenswürdigkeit Kazimierz-Dolnys. Es ist die auf einem Hügel thronende Pfarrkirche (1586–1589) mit manieristischer und barocker Ausstattung. Das Tonnengewölbe ist mit einem Netz von ornamentalen Rippen aus Stuck überzogen, die für die Kunstlandschaft um Lublin charakteristisch sind. Nach 1607 wurde die Orgel, die älteste vollständig erhaltene Polens, von Szymon Lilius begonnen, und mit einem Prospekt aus Lärchenholz im Jahre 1620 verkleidet. Unweit vom Markt und auch der Pfarrkirche steht auch die ehemalige Synagoge des Ortes, die in den 2010er Jahren authentischer als andere Gebäude in der Stadt restauriert wurde. Im Inneren soll eine kleine Fotoausstellung mit hervorragenden Fotos aus dem „Stetl“ zu sehen sein, die an die Bedeutung und das Alltagsleben der Juden erinnert, die bis zum Holocaust auch hier in Kazimierz-Dolny einen großen Teil der Bevölkerung bildeten. Leider ist das Gebäude heute geschlossen.

Mein Rundgang führt mich dann noch zu einem gegenüber der Pfarrkirche und dem Marktplatz gelegenen Hügel, auf dem ebenfalls eine Kirche thront. Sie wird als Heiligtum der Verkündigung verehrt. Es ist eine kleine historische Kirche unter der Obhut des Franziskanerordens. Der Tempel wurde im 16. Jahrhundert gegründet, aber seine heutige, klassizistische Form ist das Ergebnis des Wiederaufbaus nach dem Brand von 1827. Das in Öl auf Holztafeln gemalte Bild im Altar, das die Szene der Verkündigung der Jungfrau Maria darstellt, wird verehrt und ist Ziel zahlreicher Wallfahrten. 1986 wurde der Altar mit der Papstkrone gekrönt. Das Heiligtum der Verkündigung ist Teil eines größeren Klosterkomplexes, zu dem auch ein Museum mit wertvollen Exponaten zur Geschichte von Kazimierz Dolny gehört. Von hier oben hat man dann auch eine schönen Blick noch einmal auf die gegenüber oberhalb liegende Schlossruine aus dem 16. Jhdt.

Hier beende ich meinen Rundgang durch Kazimierz-Dolny, gehe zurück in mein Hotel und nehme im dortigen Restaurant ein Abendessen ein.

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