11. Tag (17. Oktober 2019): Auf dem Weg zum Etosha-Nationalpark

Heute geht es nun weiter nach Norden. 400 Kilometer liegen wieder vor uns. Da wir aber etwa 250 Kilometer auf der gut asphaltierten B 1 bis Otjiwarongo fahren und auch die dann folgende C 38 asphaltiert ist, kommen wir sicher schnell voran. So hat dann auch Butz einigen Wünschen Rechnung getragen und fährt mit uns nach dem Frühstück wieder zur Christuskirche und gibt uns 1 1/2 Stunden für Shopping oder Besichtigungen. Leider hat sich Heidrun irgendetwas eingefangen, was ihr auf den Magen/Darm geschlagen ist. Sie zieht es daher vor, bei Butz im Bus zu bleiben, wohl mit dem etwas beruhigenden Wissen, dass im Unabhängigkeitsmuseum direkt gegenüber eine Toilette ist.

So mache ich mich allein auf den Weg. Vor allem möchte ich mir noch das Denkmal des Stadtgründers, des preußischen Offiziers Curt von Francois, anschauen. Er entschied 1891 als damaliger Hauptmann der Schutztruppe den bisherigen Verwaltungssitz der Kolonie in Otjimbingwe etwa 70 Kilometer nordwestlich von Windhoek aufzugeben und das zentraler gelegene Windhoek als neuen Verwaltungssitz aufzubauen. Windhoek galt damals auch als eine strategische Pufferzone zwischen den verfeindeten Nama und Herero und seine Quellen sicherten außerdem die Wasserversorgung der neuen Hauptstadt. Am 18. Oktober 1890 legte Curt von Francis den Grundstein zur modernen Stadt Windhoek mit dem Baubeginn einer Steinfestung, der heutigen Alten Feste. Während der darauffolgenden Jahre entwickelte sich Windhoek nur langsam und es wurden lediglich nötigste Verwaltungs- und Wohngebäude errichtet.

Von Anbeginn seiner Geschichte war Windhoek auch gezeichnet durch eine Trennung der weißen und schwarzen Bevölkerung; so wurde in Klein-Windhoek an weiße Siedler Farmland vergeben, die in dem Gebiet kleine Obst- und Tabakplantagen errichteten. Ebenfalls in Klein-Windhoek – sowie dem heutigen Hochland Park – wurde Land an die einheimische Bevölkerung vergeben, die hier ihre traditionellen Siedlungen (die sogenannten Werften) errichtete. Bis 1913 wurden alle einheimischen Einwohner Windhoeks auf drei dieser Werfen zwangsumgesiedelt. Mit zunehmendem Zuzug der Landbevölkerung und verstärkter Einwanderung, hauptsächlich aus dem Deutschen Kaiserreich und aus Südafrika, wuchs die Einwohnerzahl bis 1916 auf rund 11.000 Einwohner.

Spätere Entwicklungen in Windhoek sollen wohl auch der Grund für die Entstehung der Unabhängigkeitsbewegung SWAPO gewesen sein. Die deutsche Kolonialzeit endete in Windhoek während des Ersten Weltkrieges im Mai 1915, als südafrikanische Truppen unter britischer Flagge die Stadt einnahmen und besetzten. Über die nächsten fünf Jahre wurde Südwestafrika durch eine Militärregierung verwaltet und seit 1921 durch die südafrikanische Mandatsverwaltung. Nach 1955 wurden von öffentlicher Hand zahlreiche Großprojekte verwirklicht, wie die Asphaltierung der Straßen (welche bereits 1928 begann) und die Errichtung von Dämmen und Pipelines zur Deckung des wachsenden Wasserbedarfs. Es entstanden auch eine Reihe neuer Schulen und Krankenhäuser, streng nach dem System der Rassentrennung. Viele dieser Projekte wurden durch angeworbene Arbeiter aus dem Homeland Ovamboland, der heutigen Region Ohangwena im Norden Namibias, verwirklicht, wobei Politiker und Stadtplaner dieser Zeit erneut eine Umsiedlung der einheimischen Bevölkerung planten. Nach Absprache mit der Mandatsverwaltung für Südwestafrika und der südafrikanischen Regierung, aber ohne Absprache mit der einheimischen Bevölkerung, entschied man sich, neue Vorstädte im Nordwesten der Stadt Windhoek anzulegen und alle schwarzen Einwohner erneut aus ihren Wohngebieten umzuquartieren.

Die schwarze Bevölkerung identifizierte sich damals mit ihrem Stadtteil und weigerte sich, ihre Wohnorte zu räumen. Infolgedessen kam es im Verlauf des Dezember 1959 erst zu Demonstrationen und anschließend zu einem Boykott in der ehemaligen Alten Werft, dem größten Wohngebiet der Einheimischen. Die südafrikanische Polizei besetzte daraufhin den Stadtteil, wonach es am 10. Dezember 1959 zu Unruhen kam, bei denen die Polizei elf Menschen erschoss und rund 50 Menschen teilweise schwer verletzt wurden. Diese ohnehin angespannte Situation spitzte sich weiter zu, als der damalige Landeshauptmann verfügte, keinem der verletzten Aufständischen dürfe medizinische Hilfe erteilt werden.

Diese Ereignisse, die als Aufstand an der Alten Werft in die Geschichte eingingen, waren ein Scheidepunkt in der Geschichte Namibias. Viele Führer wie auch der spätere erste Präsident des unabhängigen Namibias Sam Nujoma waren an ihnen beteiligt. Die Ereignisse waren ein Hauptgrund für den Willen der Bevölkerung zur Befreiung von der Fremdherrschaft und zur Unabhängigkeit des Landes. Samuel Nujoma wurde infolge des Aufstandes verhaftet und später ins Exil gezwungen. Im Verlauf des Jahres 1960 kam es dann zur Gründung der SWAPO.

Unmittelbar nach dem Aufstand verließen zwischen drei- und viertausend Bewohner ihre Häuser aus Angst vor weiteren Ausschreitungen der Polizei. Gewachsene Strukturen im gesellschaftlichen Leben des Stadtteils wurden zerstört, bis er 1968 endgültig geschlossen wurde. Die neue Vorstadt im Nordwesten Windhoeks wurde Katutura genannt, was übersetzt so viel heißt wie: der Ort, an dem wir nicht leben möchten. 1961 und 1963 wurden auch die kleineren Werften aufgelöst und die Apartheids-Politik der Regierung ungebrochen fortgesetzt. Katutura wurde weiter in Sektoren unterteilt mit genauer Aufteilung und Trennung der einzelnen Volksstämme.

Mit der Unabhängigkeit Namibias im Jahre 1990 wurde Windhoek dann auch wieder Hauptstadt Namibias. Dies hatte einen sprunghaften Anstieg der Einwohnerzahlen zur Folge. So stieg die Zahl der Einwohner, die 1990 bei etwa 100 Tsd. lag, bis heute auf fast 500 Tsd.. Vergegenwärtigt man sich, dass Namibia selbst nur etwa 2,3 Mio. Einwohner hat, bedeutet das, dass inzwischen fast ein Viertel der Einwohner Namibias in der Hauptstadt leben.

Soviel in Kürze zur Geschichte Windhoeks. Das Denkmal Curt von Francois steht heute nach wie vor an prominenter Stelle vor dem Rathaus. Man hat nicht den Eindruck, dass es wie das Reiterdenkmal in Frage gestellt wird. Mein weiterer Weg führt mich nun noch einmal durch das moderne Windhoek. Hier wirkt es sehr europäisch, insbesondere auch weil sich zwischen den modernen Hochhäusern auch immer wieder pittoreske gründerzeitliche Hauszeilen oder Hausfassaden finden. Lediglich ein Markt der Hereros unterhalb einer modernen Hochhauszeile macht deutlich, dass man sich nicht in Europa befindet. Mein Weg führt mich auch an dem eindrucksvollen Gebäude des namibischen Supreme Court, des obersten Gerichts von Namibia, vorbei. Als ich dann zurück zum Parkplatz komme ist auch die Christuskirche offen, so dass ich hier noch einen Blick hineinwerfen kann und einen Eindruck gewinne.

Die Christuskirche ist eines der Wahrzeichen von Windhoek. Sie wurde zwischen 1907 und 1910 im neoromanischen Stil mit Jugendstileinflüssen gebaut. Interessant ist, dass die wesentliche Ausstattungen der Kirche aus Deutschland importiert wurden. Die Farbverglasungen im Altarraum wurden von Kaiser Wilhelm II. gestiftet und in Nürnberg hergestellt. Die Orgel wurde in Ludwigsburg gefertigt und die drei Glocken kamen aus Apolda. Übrigens: Die Fenster wurden nach dem langen Transport falsch herum eingebaut, mit der Innenseite nach außen. Dies fiel aber erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts auf, als ein Experte für Kirchenfenster die Kirche als Tourist besuchte. Danach wurden alle Fenster ausgebaut und die vormalige Außenseite nach innen gedreht, was angeblich den künstlerischen Wert der Fenster wieder erhöht hat.

Die Christuskirche wurde 1910 nach dem Ende der Kriege zwischen Deutschen und den Nama, Herero und Ovambo geweiht. So hängt auch an prominenter Stelle eine Tafel mit den deutschen Opfern dieser Kriege. Die Opfer der Hereros und Namas werden nicht erwähnt. Das ist sicher der Zeit geschuldet. Ob man heute nicht die Souveränität aufbringen könnte, hier an dieser Stelle auch ihnen zu gedenken, scheint mir eine Herausforderung zu sein, deren positive Bewältigung der evangelischen Kirchengemeinde in Windhoek sicher zur Ehre gereichen könnte.

Inzwischen sind auch alle wieder beim Auto eingetroffen. Heidrun geht es auch etwas besser, nachdem sie mit Butz Hilfe ein Medikament in der Apotheke erworben hat. So können wir halbwegs beruhigt losfahren. Bald geht es aus der Stadt raus und die B1 wird nun zur Autobahn. Es ist wohl das erste Stück Autobahn in Namibia, aber es sind meines Erachtens nicht mehr als 50 Kilometer. Nach 90 Kilometern erreichen wir dann Okahandja, ein Ort der natürlich auch dadurch eine Bedeutung hat, dass Butz hier lebt. Hier hat er bis vor ein paar Jahren eine Autowerkstatt betrieben, diese dann aber aufgegeben, weil in den modernen Autos nichts mehr zu reparieren sei, sondern nur noch ausgetauscht werde. Okahandja ist aber bis heute auch das wichtigste traditionelle Zentrum der Herero, wo ihre großen Führer begraben liegen. Von besonderer touristischer Bedeutung ist der große Schnitzermarkt von Okahandja, den einige von unserer Reisegruppe besuchen.

Gegenüber dieses Marktes machen wir Pause. Hier gibt es ein Café und einen Laden für Trockenfleisch. Heidrun und ich sind sehr erstaunt, wieviel verschiedene Sorten an Trockenfleisch es gibt und wir decken uns für die Imbisse der nächsten Tage damit ein. Es freut die ganze Reisegruppe auch, dass wir hier Butz´Frau Renate kennenlernen, von der er uns schon öfter voller Hochachtung erzählt hat. Es ist ein kurzes Meeting, aber Renate versteht es, bestehende Hemmungen beiseite zu wischen und sich zu verhalten, als gehöre sie dazu. Sie ist auch in der kurzen Begegnung eine angenehme Gesprächspartnerin. Sie macht das Gruppenfoto von uns und wir dürfen sie zusammen mit Butz fotografieren. Dann verabschiedet sie sich aber auch, weil sie noch vieles zu erledigen habe und auch unsere Fahrt weitergeht.

Nach unserer Rast nehmen wir weiter die trockene Savannenlandschaft wahr, die uns nun schon über 1.000 Kilometer begleitet. Hier hinter Windhoek kommt aber nun etwas Neues hinzu: die Termitenhügel. Sie prägen hier die Landschaft zusätzlich und haben oft beachtliche Formen und Höhen. Warum es die Termitenhügel nun gerade hier gibt, ist mir bisher nicht bekannt. Hauptsächlich dienen die Termitenhügel dem Schutz vor Witterung und der Klimaregulation. Sie dienen aber auch dem Schutz vor natürlichen Feinden. Allerdings können Ameisenbären, Erdferkel und Gürteltiere mit ihren Klauen Löcher in einen Termitenhügel graben.

Es gibt offensichtlich sehr unterschiedliche Termitenarten. Butz erzählt uns, dass es in Afrika auch Termiten gäbe, die nur Holz fräßen. So habe er mal einen älteren Schrank besessen, der nicht mehr gebraucht wurde und als man ihn sich später noch einmal angeschaut habe, sei nur noch das Furnier des Schrankes sozusagen als Außenhülle vorhanden gewesen. Die Termitenhügel in Afrika können bis zu sieben Meter hoch werden. Das Baumaterial der Termitenhügel setzt sich aus Erde und zerkautem Pflanzenmaterial (Zellulose) zusammen, als Bindemittel dienen (je nach Unterfamilie) auch Kot und Speichel der Termiten. Diese Mischung kann eine enorme Festigkeit und Härte erreichen. In Kombination mit möglicher Wiederbesiedlung der Hügel durch die gleiche oder andere Arten können Termitenhügel angeblich in manchen Gegenden sogar mehrere tausend Jahre alt werden.

In Otjiwarongo verlassen wir dann die B 1 und fahren nun auf der C 38 in Richtung des Etosha Nationalparks. In dem Städtchen Outjo legen wir noch einmal eine Pause ein, weil Butz tanken muss. Dann haben wir noch etwa 100 Kilometer bis zu unserem heutigen Mopane Village Etosha. Die Lodge wird auch von unserem Reiseveranstalter als rustikal bezeichnet. Es ist wohl die erste Lodge, die von Schwarzen betrieben wird. Wir werden von Mariechen und einem weiteren Mitarbeiter freundlich empfangen, bekommen ein feuchtes kühles Handtuch zur Erfrischung und einen Rock Shandy zur Begrüßung. Die Unterkünfte erinnern eher an Militärzelte und sind aber ansonsten mit Strom und sogar mit Bad, Toiletten und fließendem Wasser ausreichend ausgestattet. Zum ersten Mal hängen auch Mückennetze über den Betten, die sich allerdings als recht unpraktisch erweisen. Obwohl wir uns nun langsam dem malariagefährdeten Gebiet nähern, sind bei der Hitze bisher kaum Mücken zu sehen.

Das WLAN funktioniert wie in den meisten anderen Lodges, in denen wir waren, nur unzureichend und überhaupt lässt auch im Übrigen in dieser Unterkunft manches zu wünschen übrig. So hatten wir uns schon alle auf den Swimmingpool gefreut, dieser macht aber einen veralgten und schmuddeligen Eindruck, so dass noch nicht einmal Willi bereit ist, hier reinzusteigen. Auch beim Abendessen erleben wir einige unerfreuliche Überraschungen. Die Bedienung spricht zwar ein wenig deutsch, scheint aber wenig zu verstehen. So kommt es dauernd zu Missverständnissen bei der Getränkebestellung. Auch das Buffett, dass uns zum Abendessen serviert wird, wird sehr schnell wieder abgeräumt, ohne uns vorher zu fragen, ob wir nun satt seien. So etwas löst natürlich bei uns Europäern Kritik über die Dienstleistungsorientierung aus. Kritische Hinweise werden dann meist mit einem Lächeln und Schulterzucken beantwortet, so als gäbe es doch Schlimmeres, was ja sicher nicht zu bestreiten ist. Auch wenn ich selbst höchst unzufrieden bin, was bei mir recht schnell vorkommt, vor allem, wenn es mit dem Essen und Trinken nicht so klappt, wie ich es mir vorgestellt habe, schwant mir aber schon, dass hier einfach die Kulturunterschiede zwischen Schwarzen und Weißen zum Tragen kommen und man kann hier im Kleinen lernen zu erkennen, wie die Konflikte zwischen Schwarzen und Weißen auch entstanden sind. Man spricht nicht nur andere Sprachen, sondern man tickt auch kulturell völlig unterschiedlich.

 

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