Meine Route weicht heute etwas von der Route des Eurovelo 6 ab und ich habe mir Chinon als Ziel gewählt. Deshalb füge ich hier auch noch eine extra Karte von der heutigen Tour ein.

Heute spielt das Wetter wieder mit. Zwar rieselt es noch am Morgen. Aber nach 10 Uhr bricht die Sonne hervor und es wird ein herrlicher Tag. Ich hatte ein sehr hübsches Zimmer in Zentrum von Saumur. Die zentrale Lage ist wichtig, wenn ich mir noch die Stadt anschauen möchte. Frühstück war leider nicht ganz so gut wie die letzten Tage. Vor allem kann ich mich nur schwer daran gewöhnen, dass die Franzosen oft auf Frühstücksteller verzichten und man deshalb die Baguettes auf dem Tablett zubereiten muss. Aber wozu dient eine solche Reise, wenn nicht auch fremde Sitten und Gebräuche kennenzulernen.

Nach dem Frühstück mache ich dann erst einmal einen Rundgang durch die Stadt. Saumur entwickelte sich im 16. Jahrhundert zu einem Zentrum der Hugenotten mit einer protestantischen Akademie. Dies änderte sich als Ludwig XIV. 1685 mit dem Edikt von Fontainebleu das Edikt von Nantes seines Vorgängers und Großvaters Heinrich IV zurücknahm und die Akademie darauf schließen musste aber auch die hugenottische Bevölkerung die Stad verließ. Saumur ist heute Zentrum eines Weinbaugebietes. Ferner ist es führend in der Produktion und Weiterverarbeitung von Champignos. Auch 40 Prozent der in Frankreich produzierten Rosenstöcke kommen aus der Region um Saumur.

Auffallend ist auch die Architektur von Saumur. Die meisten Häuser und auch das Schloss sind aus weißem Tuffstein gebaut, was, wenn die Gebäude neu sind, ein schmuckes Bild abgibt und Saumur auch den Beinamen „Perle der Anjou“ einbrachte. Allerdings wird diese Bauweise bzw. das Baumaterial Kalksteintuff das vorherrschende Baumaterial mindestens bis Orleans sein. Im neuen oder restaurierten Zustand sieht es wirklich sehr adrett aus. Allerdings gibt der Stein schon Fingernagelritzen nach und ist in seiner Porosität allen Umwelteinflüssen stark ausgesetzt. Es ist nach meiner Einschätzung sehr fragiles Baumaterial. Deshalb wird es wohl so bleiben, dass die Gegend eine permanente Baustelle ist. Denn mit der Zeit zerfallen die Tuffsteine regelrecht. So wird auch gerade das Schloss Saumur wieder für 5 Mio. EURO saniert, weil die Stützmauern andernfalls einzustürzen drohen. Da der Besuch des Schlosses Eintritt kostet und da es erst um 10 Uhr öffnet, verzichte ich auf einen Besuch.

Gegen 10.30 Uhr fahre ich dann los. Ich habe mir heute einige Zwischenziele ausgesucht, die ich gerne etwas näher anschauen möchte. Da ist zunächst das Dorf Souzay, in dem man schön studieren kann, was mit dem Kalksteintuff so alles möglich ist. So verfügt Souzay über ein Netz unterirdischer Straßen, die angeblich bereits im 11. Jahrhundert in den Stein gehauen wurden. Die Rue de Commerce war eine Einkaufsstraße mit vielen Geschäften, die sich in den Höhlen befanden. Sie wurde wohl bis ins 20. Jahrhundert hinein genutzt. Auch heute kann man das einstige Handelszentrum noch besuchen und seine Phantasie walten lassen, um sich das einstige Treiben vorstellen zu können. Auch Privatleute haben sich den Tuffstein zu Nutze gemacht und den Wohnraum ihres an den Felsen klebenden Hauses durch Aushöhlung erweitert. Es ist schon eine beeindruckende Architektur, die hier entstanden ist. Aber man sieht auch an allen Ecken und Enden die Fragilität dieser Architektur.

Weiter geht es dann entlang der Loire nach Turquant. Hier schaue ich mir ein Höhlenmuseum an, in dem die Herstellung der „pommes tapées“ erläutert wird. Es sind getrocknete Äpfel, die mit rotem Wein durchtränkt werden. Ich durfte auch kosten. Auch die Künstler hat es nach Turquant verschlagen. So findet sich hier ein Zentrum für Kunsthandwerk mit Ateliers und Bibliothek, dass in den Höhlen von Turquant untergebracht ist.

Bei Montsereau verlasse ich dann die Hauptroute und mache einen Abstecher nach Fontevraud-I´Abbaye. Die hier liegende Abbaye Royale (Königliches Kloster) hat eine sehr interessante Geschichte. So mache ich dort einen Stopp und rüste mich mit einem deutschsprachigen Audioguide und lasse mich von ihm etwa zwei Stunden durch die Klosteranlage führen, die als der größte zusammenhängende Klosterkomplex Europas angepriesen wird. Auch wenn ich meine, dass es an das Kloster Melk in Österreich nicht heranreichen kann, ist es doch in jedem Fall einen Besuch wert, weil es zumindest einige andere Eigentümlichkeiten aufweist.

Das Kloster wurde um 1100 von dem Wanderprediger und Eremiten Robert d´Abrissel gegründet. Ihm schlossen sich viele Frauen und Männer an, weil er auch lehrte, dass alle Menschen gleich seien und weder soziale Herkunft noch das Geschlecht von Bedeutung sei. Es wurden zwei Ordensgemeinschaften gegründet, ein Frauenkloster und ein Männerkloster und es gab noch Bereiche für Laienschwestern und für Krankenschwestern. Jedes der Klöster bzw. der Bereiche war autonom und besaß eine eigene Kirche, Speisesaal, Kreuzgang und Schlafräume. Was ungewöhnlich ist, die Gesamtleitung über das Gesamtkloster hatte immer die Äbtissin des Frauenklosters. Ebenso ungewöhnlich, dass das Kloster nie einem Bischof unterstand, sondern dem Papst direkt und dem jeweiligen König von Frankreich. Die Tatsache, dass es immer eine Äbtissin gab, wurde von den männlichen Mönchen selten akzeptiert. So kam es öfters zu Aufständen von Mönchen, die aber immer wieder auch von durch die Unterstützung des Königs und des Adels in die Schranken gewiesen wurden. So blieb es dabei, dass das Kloster fast 700 Jahre von insgesamt 37 Äbtissinnen geleitet wurde.

Die Abtei wurde bald vom Hochadel sehr geschätzt und die Familien schickten ihre Töchter, Nichten, Prinzessinnen und sogar verstoßene Königinnen in diese Gemeinschaft, die entweder freiwillig oder gezwungener Maßen hier lebten. Schließlich stiftete der Adel und auch die Könige erhebliche Summen für die Abtei, beschützten sie und wählten Sie als letzte Ruhestätte. So finden sich hier auch die Gräber des englischen (!) Königs Richard Löwenherz und seiner Eltern Heinrich II. und Eleonore von Aquitanien. Richard Löwenherz war bis zu seiner Krönung Herzog von Aquitanien und danach hielt er neben der Königswürde noch die Titel Herzog der Normandie und Graf von Anjou. Er war also neben seiner Souveränität als König von England noch Lehensmann des französischen Königs. Eine recht verwirrende Konstellation.

Nach der Revolution von 1789 wurde das Kloster aufgelöst, geplündert und stark beschädigt. Napoleon gebot dem dann Einhalt und erklärte das Gebäude zum „nationalen Gut“ und nutzte es als Strafanstalt, was es bis 1963 blieb. Es galt als eine der härtesten Strafanstalten in Frankreich. Nach 1963 machte man sich daran den alten Klostercharakter wieder zu restaurieren und die Anlage der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Seit 1975 wird Fontevraud als Kulturzentrum geführt.

Nach diesem Ausflug in die Geschichte Frankreichs radle ich weiter nach Chinon. Chinon liegt an der Vienne, einem Nebenfluss der Loire. Auch dies ist ein Ausflug in die Geschichte Frankreichs, die hier im Tal der Loire zwischen Saumur und Orlean überall lebendig ist. So wird der Abschnitt auch „Tal der Könige“ weil hier im 15. Und 16. Jahrhundert der französische Hochadel aber auch die Könige von Frankreich mit Blois ihre Hauptresidenz hatten und auch einige andere Königsschlösser errichtet wurden.

Die mächtige Burg von Chinon, die von Weitem das ganze Stadtbild prägt, wurde Ende des 12. Jahrhunderts von Heinrich dem II. und seinem Sohn Richard Löwenherz errichtet. Sie wurde schließlich vom französischen König erobert und wurde damit zur französischen Königsburg. Sie wurde auch Zufluchtsstätte des ungekrönten Königs Charles VII. Hier fad dann auch 1429 die legendäre Begegnung mit Jeanne ´d Arc statt. Sie wollte unbedingt beim König vorsprechen, um ihn von ihrer göttlichen Eingebung zu überzeugen, dass sie auserkoren sei, Frankreich von den Engländern zu befreien.

Auf einen Besuch der Burg verzichte ich. Sie ist von außen schon Motiv genug. In dem kleinen Dorf St-Lazare unweit von Chinon habe ich ein B&B gebucht. Man empfängt mich sehr freundlich. Ich habe ein hübsches aber außergewöhnliches Zimmer. Die Eingangstür ist nur etwa 1,60 m hoch und einige Balken laden zum dagegen stoßen ein. Dennoch fühle ich mich recht wohl hier.

Tagesdaten: 49,71 Km; 4:23:54 Std. Fz; 11,30 km/h; 325 Hm.

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