Die Nacht verläuft wie die letzte. Immer wieder wird der Schlaf durch die Notwendigkeit des Gangs zur Toilette unterbrochen. Am Morgen nimmt Heidrun das Ruder erst einmal von Deutschland aus in die Hand. Sie hat eine Liste deutschsprachiger Ärzte im Internet gefunden und drängt sehr massiv und nachhaltig darauf, dass ich einen Arzt konsultiere Sie wolle nicht in zwei Wochen Witwenrente beantragen. Am Vormittag schleppe ich mich dann zur Rezeption. Die Managerin hat natürlich inzwischen auch schon mitbekommen, dass es mir nicht gut geht. Ich bitte sie, ob sie für mich bei dem genannten Internisten anrufen könne. Sie macht das sofort und freut sich sichtlich, so helfen zu können. Bei dem Internisten steht, dass er auch Hausbesuche mache und deshalb hoffe ich nun, dass er hier ins Hotel kommt.

Nach dem Telefonat erklärt mir Jelena, die Managerin, dass er nicht ins Hotel kommen könne, weil es zu weit sei und er in der Klinik Dienst habe. Ich könne aber während seiner Mittagspause um 13 Uhr zu ihm nach Hause kommen. Jelena erklärt mir, wo das ist und ich könne mit der Straßenbahn dorthin fahren. Ich stelle mir dabei vor wie ich in meinem Zustand mit einer Straßenbahn durch ganz Belgrad fahre und nach dem Aussteigen noch nicht einmal die Straßenschilder lesen kann. Ich frage also wie es mit einem Taxi sei. Jelena meint, dass dies natürlich auch kein Problem sei. Sie ermittelt sogar mit einem weiteren Anruf sehr schnell, dass ich mit etwa 600 Dinar rechnen müsste. Das sind ziemlich genau 5 €. Das ist dann keine Frage mehr für mich. Zunächst einmal bin ich froh, dass ich mich noch einmal zwei Stunden ins Bett legen kann.

Gegen 12.15 Uhr gehe ich wieder zur Rezeption und Jelena ordert ein Taxi. Es ist drei Minuten später am vereinbarten Ort und ich zeige dem Fahrer die auf einem Zettel aufgeschriebene Adresse. Es geht wirklich durch ganz Belgrad, vorbei an vielen bedeutend aussehenden Gebäuden, deren Zweck ich allerdings immer noch nicht kenne. Das Haus des Arztes liegt in einem kleinen Villenviertel der oberen Mittelschicht und sieht auch sehr gediegen aus. Als ich klingle öffnet mir ein Herr in meinem Alter in Jeans und einem blaukarierten Hemd. Es sieht nach Freizeitlook aus, was mich nicht stört, sondern nur wundert, weil er doch im Dienst ist. Dann fällt mir natürlich ein, dass die Ärzte im Krankenhaus weiße Kittel tragen und es eher nebensächlich ist, was sie darunter tragen. Er stellt sich mit Dr. Vucovic vor, was mich veranlasst, meinen Doktortitel ebenfalls in die Waagschale zu werfen. Das überwindet in diesem Fall Barrieren und Hierarchien. Man spricht auf Augenhöhe miteinander.

Zunächst ist das Gespräch noch recht sachlich und steif. Als erstes will er natürlich wissen wie ich überhaupt auf ihn gekommen sei und so erzähle ich ihm von der Liste deutschsprachiger Ärzte in Belgrad, die die Deutsche Botschaft herausgegeben habe und die meine Frau im Internet gefunden habe. Dann nimmt er erst einmal meine persönlichen Daten auf. Dann wird es lockerer nachdem er von meiner Fahrradtour erfährt und welcher Art meine Profession gewesen sei, weil auch er aus einer Juristenfamilie stamme aber selbst eben einen anderen Weg gewählt habe. Danach beginnt er mich zu untersuchen. Er fragt nach meinen Beschwerden. Von meinem Blutdruck ist er begeistert, weil der die Idealwerte habe. Auch beim Abhören findet er außer im Magen-Darm-Bereich keine Auffälligkeiten. Er fragt nach Vorerkrankungen, Blutwerten und einzunehmenden Medikamenten. Da ich meine Blutwerte regelmäßig testen lasse, bin ich auch hier aussagefähig und auch sie weisen ja keine Ausreißer auf. Schließlich stellt er seine Diagnose. Es ist ein einfacher Magen-Darm-Infekt, der wahrscheinlich durch irgendein verdorbenes Teil in einem Essen hervorgerufen worden sei. Unangenehm aber nicht weiter bedrohlich. Der Infekt würde mich aber noch einige Tage aus dem Verkehr ziehen. Mit der Hitze hat das Ganze nichts zu tun und er sei auch froh, dass es keine Salmonellen seien, weil dann hätte ich hohes Fieber, was augenscheinlich nicht der Fall sei. Er hat dann auch gleich die passenden Tabletten zu Hand, was ich im Moment sehr hilfreich finde und erläutert mir die Einnahme. Dann verordnet er mir für die nächsten zwei Tage eine möglichst strenge Diät: Viel trinken und zwar Wasser ohne Kohlensäure, Hühnerbrühe, wenig essen, keine Milchprodukte, Banane sei gut. Noch besser seien zerdrückte Bananen mit geriebenem Apfel vermischt. Er gehe davon aus, dass es mir morgen Abend schon besser ginge und ich aber davon ausgehen könne, dass es noch bis zum Wochenende dauern werde, bis alle Symptome abgeklungen seien. Wir vereinbaren, dass ich ihn Ende der Woche noch einmal anrufe.

Wir halten dann noch ein wenig small talk und er erzählt mir, dass er seine Facharztausbildung in den 80er Jahren in Deutschland in Wiesbaden und Heidelberg gemacht habe und anschließend einige Jahre in einer Klinik in Heilbronn gearbeitet habe. Zehn Jahre habe er in Deutschland gelebt, wo auch sein Sohn geboren sei. Es kommt auch heraus, dass er sozusagen der Vertrauensarzt der Deutschen Botschaft in Belgrad ist. Also immer wenn ein Mitarbeiter der Botschaft oder ein Angehöriger eines Mitarbeiters ein gesundheitliches Problem habe, komme man zu ihm. Es ist ein angenehmes Gespräch und ihm scheint es auch zu gefallen, sich mit einem Deutschen zu unterhalten. Das Haus ist übrigens sehr bürgerlich eingerichtet und unterscheidet sich nicht sonderlich von vergleichbaren Häusern bei uns, außer vielleicht, dass man bei uns weniger Ikonen fände. Schließlich bitte ich ihn mir zu sagen, was ich ihm nun für seine Bemühungen schulde. Der Preis erscheint mir zwar etwas hoch, aber andererseits bin ich froh, dass ich ihn überhaupt gefunden habe. Ich kratze also meine verbliebenen EURO zusammen und bezahle ihn in bar. Er verspricht mir die Rechnung an meine Heimatadresse zu senden, damit ich sie bei der Krankenkasse einreichen kann. Zum Abschluss bitte ich ihn noch mir ein Taxi zu bestellen. Wir verabschieden uns freundlich.

Zurückgekehrt kaufe ich mir erst einmal eine große Flasche Wasser ohne Kohlensäure, Bananen und Brühwürfel für Hühnerbrühe, nachdem ich Jelena den englischen Begriff gezeigt habe und sie mir den serbischen auf einen Zettel geschrieben hat. Da ich einen Wasserkocher auf meinem Zimmer habe, mache ich mir erst einmal zwei Tassen Hühnerbrühe. Ich bin begeistert! Nachdem ich diese Köstlichkeiten zu mir genommen habe, falle ich ins Bett und versinke in den schon gewohnten Dämmerschlaf.

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