35. Tag: 13. Mai 2019 – Saint-Jean-Pied-de-Port

Das Wetter ist herrlich, das Frühstück ebenfalls. Was Sabine und Philippe mir hier aufgetischt haben ist wirklich toll und im wahrsten Sinne des Wortes überwältigend. Meine leichte Andeutung, dass ich auch gerne Käse zum Frühstück esse, wird mit einer Platte mit vier sehr leckeren Käsesorten beantwortet. Die vier Marmeladen sind ebenfalls ausgezeichnet. Dazu gibt es noch einen frischen, von Sabine zubereiteten Obstsalat, einen frisch gepressten Orangensaft und süße Delikatessen, die eine Spezialität der Gegend von Bordeaux sein sollen. Wie ich inzwischen herausgefunden habe heißen sie Cannelés de Bourdeaux und bestehen aus Milch, Butter, Mehl und Eigelb sowie Vanillearoma, Zucker und Rum. Daraus wird ein dünnflüssiger Teig gerührt, in spezielle Formen gegossen und gebacken. Sie sind köstlich. Aber so viel wie mir serviert wird kann selbst ich nun wirklich nicht essen.

Philippe ist übrigens wohl auch leidenschaftlicher Radfahrer. Als ich gestern ankam, kam er gerade von eine 60 Km-Tour zurück. Wie die meisten französischen Männer fährt er allerdings vorwiegend Rennrad. Er zeigte mir natürlich auch sehr stolz sein etwa 8 Kg schweres Carbonrad. Nachdem ich meine Tour nach Saint-Jean-Pied-de-Port gestern noch einmal durchgeplant hatte, war ich doch etwas entsetzt über die Höhenmeter und vor allem die Steigungen und überlegte, ob es nicht besser sei die Hauptstraße zu fahren. Nach einer kurzen Diskussion gibt auch Philippe mir Recht und meint, dass die Steigungen hier erträglicher seien, der Verkehr nicht übermäßig und über weite Strecken ein ausreichend breiter Seitenstreifen vorhanden sei.

Philippe erläutert mir auch wovon man in Salier-de-Béarn hauptsächlich lebt. So ist die Stadt durch eine bedeutende Salzquelle zu Ruhm gelangt, aus der noch heute Salz gewonnen wird. Daran anschließend hat sich auch ein Kurort entwickelt. Es gibt wohl auch ein überregional bekanntes Thermalbad. Darüber hinaus gehört der Ort auch zum Weinbaugebiet Béarn so dass hier auch Wein angebaut wird. Auch die Weidewirtschaft mit den weißen Rindern und die Käseproduktion spielen wirtschaftlich eine Rolle.

Nach dem Frühstück gehe ich noch kurz in eine Apotheke im Ort und hole mir ein Mineralienpräparat. Ich glaube es wird mir gut tun. Dann geht es los. Ich stoppe noch kurz bei Intermarche und versorge mich mit Wasser, dass es inzwischen ja mit mehreren Aromen gibt, die allerdings nicht zur Kalorienerhöhung führen. Ich nehme immer Wasser mit Zitronenaroma. Vor dem Markt steht ein ebenfalls voll bepacktes Tourenrad. Als ich aus dem Markt komme, treffe ich auch auf den Besitzer, einen Spanier, der die Tour in umgekehrter Richtung fährt und nun auf dem Weg nach Rom unterwegs ist. Er erzählt, dass der Jakobsweg inzwischen ziemlich überlaufen sei. Von Saint-Jean-Pied-de-Port sollen täglich etwa 600 Pilger aufbrechen. Es empfehle sich daher, Quartiere möglichst vorzubuchen. Dazu werde ich ja nun Gelegenheit haben.

Nun geht es auf die Hauptstraße, die hier schon bis Pamplona ausgewiesen ist, was im Französischen Pampeluna heißt. Es geht erst  einmal mit drei kleineren aber doch heftigen Steigungen von bis zu 8 Prozent los. Nach der letzten der drei Steigungen eröffnet sich ein prächtiger Panoramablick auf die Pyrenäen mit ihren weiter östlich gelegenen schneebedeckten Gipfeln. Von hier aus fahre ich hinunter nach Sauveterre-de-Béarn, einem kleinen Ort, der wohl im Mittelalter eine besondere Bedeutung hatte, weil er an einer Flussbrücke über den Fluss Gave dÓrloron  lag und damit an einer der wichtigsten Flussbrücken auf der Straße nach Spanien. Malerisch ist der Blick ins Tal mit dem Turm Monréal und den Resten der Brücke La Légende. Etwas schwierig gestaltet sich die Durchfahrt durch den Ort, weil überall Einbahnstraßen ausgewiesen sind, nur nicht in die Richtung, in die ich fahren muss. Offensichtlich muss ich da was übersehen haben.

Nachdem ich den Gave d´Orolon überquert habe, geht es natürlich wieder bergauf. Dann kommt aber eine sehr lange angenehme Abfahrt, die ich auch konsequent auf der Hauptstraße bleibe, obwohl mich mein Navi boshafterweise wieder auf eine Nebenstraße locken will, bei der es tendenziell zwar auch abwärts aber im Auf und Ab ginge. Danach kommt eine etwa 15 bis 20 Kilometer langer aber gleichmäßiger Anstieg um 200 Meter, der sich wegen der Länge der Strecke doch sehr angenehm fahren lässt. Lediglich auf den letzten 500 Metern geht die Steigung noch einmal auf 8 Prozent.

Da dies der höchste Punkt des heutigen Tages ist, mache ich hier an einem Kreuz eine kurze Mittagspause. Bis Saint-Jean-Pied-de-Port sind es nur noch etwas mehr als 10 Kilometer. Auf der Strecke heute sind mir übrigens nun auch die ersten Wanderpilger begegnet. Oft übrigens Männer und Frauen so etwa in meinem Alter. Schon kurz vor meiner Mittagsrast hatte ich aber einen jungen Mann mit einem gewaltigen Rucksack, einem Bollerwagen und zwei kleinen Kindern überholt. Da sie gerade im Gespräch mit einem Autofahrer waren, der ihnen irgendwelche Sachen gab, war ich mit einem „buen camino“ erst einmal weiter gefahren. Nun holen sie mich aber ein und wir kommen ein wenig miteinander ins Gespräch. Ja, Chris, Student der Philosophie und Soziologie aus Heidelberg, will tatsächlich mit seinem fünfjährigen Sohn Nepumuk und seiner zweijährigen Tochter Juniper auf den Jakobsweg. Er selbst ist dort wohl schon öfters gelaufen. Sie sind in Périgueux, dem Zentrum der Périgord, gestartet und schon vier Wochen unterwegs. Damit liegen schon mindestens 300 Kilometer hinter ihnen. Sein Sohn hatte heute morgen wohl einen schlechten Tag und hat mehrere Sachen aus dem Bollerwagen rausgeschmissen, was Chris nicht gemerkt hatte. Der Autofahrer, mit dem sie vorhin sprachen, hatte wohl einiges wieder eingesammelt und ihnen gerade zurückgegeben als ich an ihnen vorbeifuhr. Chris erlaubt mir auch, sie zu fotografieren und das Foto dann auf meiner Webseite zu veröffentlichen. Er erzählt mir, dass er ohnehin davon ausgehe, dass man ihm auf dem Camino ständig um eine Fotoerlaubnis bitten würde und er sich vorgenommen habe, dann zur Aufbesserung ihrer Reisekasse pro Foto einen Euro zu verlangen. Er meint das mehr ironisch und betont auch, dass das erst ab dem eigentlichen Camino gelte. Doch ich lasse mich natürlich nicht lumpen und gebe ihm zwei Euro. Ich muss sagen, vor dem, was sich Chris da vorgenommen hat, habe ich sehr großen Respekt. Ich würde das sicher nicht können und so wünsche ich ihm und seinen Kindern, vor allem vor dem Hintergrund eines etwas schwierigen Umfeldes, das er andeutete, sehr viel Glück, Erfolg und eine gute Rückkehr.

Die etwa 11 Kilometer, die nun noch vor mir liegen, gehen überwiegend abwärts. Schon bald bin ich in Saint-Jean-Pied-de-Port und die Welt ändert sich. Der Ort ist sehr überlaufen von Touristen und Pilgern. Ich frage mich, wo die ganzen Menschenmassen auf einmal herkommen und ob ich tatsächlich gut beraten bin hier eine längere Pause einzulegen. Aber ich fahre erst einmal zu meiner Residence Parc Arradoy, wo sich mein Apartment befindet. Sie liegt am Rande des Ortes und damit etwas abseits vom Trubel des Zentrums, auch wenn man das Zentrum in fünf Minuten erreichen kann. Saint-Jean-Pied-de-Port ist trotz seiner Bedeutung ein Dorf geblieben. Die Residence macht einen gepflegten und gediegenen Eindruck. Es ist ein großes halbkreisförmiges dreistöckiges Gebäude mit den typischen rötlich braunen Holzbalken und der weißen Fassade mit schätzungsweise 100 solcher Apartments wie ich es gebucht habe.

Meine Vermieterin, ich nenne sie immer Madame Anne, weil sie immer unter Anne firmiert, hatte mich gebeten, sie nach meiner Ankunft anzurufen. Das tue ich auch und nach fünf Minuten ist sie auch schon da. Sie ist eine ausgesprochen quirlige Dame mittleren Alters, die aber sehr hilfsbereit ist. Das Apartment entspricht voll meinen Erwartungen und bietet mir nach fünf Wochen on the road das Gefühl eines kleinen zu Hauses. Nachdem ich kurz das WLAN getestet habe, frage ich nach, ob ich auch noch bis Montag, also für eine Woche buchen könne. Sie checkt das kurz und kommt dann wie ich schon bei booking.com zu dem Ergebnis, dass dies möglich ist und so mache ich die Angelegenheit gleich für eine Woche fest.

Zu meiner Freude ist auch gleich hier um die Ecke, etwa 100 Meter entfernt, ein hervorragender Lidl, in dem ich alles einkaufen kann, was ich so brauche. Es wird mein erster Gang, nachdem ich mich eingerichtet habe. Danach setze ich mich erst einmal mit einem Glas Rotwein auf die Terrasse und ziehe ein kurze Bilanz. So habe ich heute tatsächlich die 2.000 Kilometermarke seit Leipzig überfahren und bereits gestern die 20.000 Höhenmeter geschafft. Das hat Kraft gekostet und so glaube ich, dass es sicher nicht unvernünftig ist, hier eine längere Pause einzulegen. Dies umso mehr als die mich umgebende Landschaft herrlich ist und ich die Tage sicher auch für einige Spaziergänge oder Wanderungen nutzen werde.

Tagesdaten: 56,19 Km; 04:e6:45 Std. Fz.; 12,18 Km/h; 747 Hm

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